Foto: ©Bundesmühlenkontor GmbH/Antonios Mitsopoulos
Anne-Kristin Barth, Diplom-Oecotrophologin und Wissenschaftsjournalistin, Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS, Berlin
Gunda Backes, Diplom-Oecotrophologin und Wissenschaftsjournalistin, NutriComm – Nutrition & Communication, Kleinmachnow
Als eines der ältesten Kulturgetreide weltweit steht Weizen zunehmend in der Kritik – trotz seiner Bedeutung als globales Grundnahrungsmittel. Sowohl das Getreide selbst als auch sein Hauptprotein Gluten werden in den Medien häufig als „Krank- und Dickmacher“ eingestuft. Doch wie fundiert sind diese Vorwürfe? Ist Gluten tatsächlich gesundheitsschädlich? Und bieten Getreidearten wie Dinkel und Emmer gesundheitliche Vorteile? Antworten liefert ein Blick auf die wissenschaftliche Studienlage.
Getreide bildet neben Wasser das Fundament unserer weltweiten Ernährung. Nahezu 50 % der Nahrungsenergie, die Menschen global zu sich nehmen, stammt aus Getreideprodukten. Die drei wichtigsten Vertreter sind Weizen, Reis und Mais.
In Deutschland nimmt Getreide einen besonderen Stellenwert ein: Jeder verzehrt durchschnittlich 86 Kilogramm Weizen pro Jahr – vorwiegend in Form von Brot und anderen Backwaren. Angesichts der steigenden Weltbevölkerung und damit wachsender Herausforderungen bei der Nahrungsmittelversorgung spielt Getreide, insbesondere Weizen, eine Schlüsselrolle für eine zukunftsfähige und nachhaltige Ernährung.
Weizen – was steckt drin?
Weizen besticht durch seine Nährstoffzusammensetzung: Er liefert primär Kohlenhydrate, enthält aber auch ca. 10 % Protein, 10 % Ballaststoffe und 2,5 % Fett. Zusätzlich punktet er mit B-Vitaminen, Phenolsäuren, Mineralstoffen wie Kalium und Eisen sowie wertvollen Antioxidantien.
Besonders hervorzuheben sind die enthaltenen Ballaststoffe, die nachweislich gesundheitsfördernd wirken. Wissenschaftliche Studien belegen ihre präventive Wirkung auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und bestimmte Krebsarten. Diese positiven Effekte kommen besonders beim Verzehr von Vollkornprodukten zum Tragen, bei denen alle Kornbestandteile – Schale (Kleie), Keimling und Mehlkörper – enthalten sind. Zudem unterstützen Ballaststoffe eine gesunde Zusammensetzung der Darmmikrobiota.
„Glutenfrei“ – neuer Modetrend?
Gluten, das Klebereiweiß des Weizens, ist maßgeblich für seine ausgezeichneten Backeigenschaften verantwortlich. Dennoch wird es in Teilen der Bevölkerung zunehmend als Gesundheitsrisiko gesehen. Grund dafür sind auch fragwürdige Ernährungstrends sowie pseudowissenschaftliche Ratgeber mit zahlreichen Fehlinformationen in den letzten Jahren. In der Öffentlichkeit kursieren so hartnäckig Behauptungen über allgemeine Gesundheitsschädlichkeit und angeblich weit verbreitete Glutenintoleranzen. Irreführende Aussagen wie „Gluten verklebt Darmzotten“ oder „sämtliches Getreide ist genmanipuliert“ verunsichern Verbraucherinnen und Verbraucher nachhaltig. Diese Fehlinformationen führen vermehrt zu unbegründeten „Selbstdiagnosen“ und dem medizinisch nicht indizierten Ausschluss glutenhaltiger Lebensmittel.
Viele Menschen möchten sich durch glutenfreie Lebensmittel gesünder ernähren oder abnehmen. Doch dieser Trend ist bei gesunden Menschen nicht nur fragwürdig – er steht auch im Widerspruch zu aktuellen Forschungsergebnissen, die deutliche Nachteile dieser Ernährungsform aufzeigen. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen: Eine glutenfreie Ernährung kann zu Nährstoffdefiziten führen. Gleichzeitig fehlen Beweise, dass Gluten der Gesundheit schadet. Was oft übersehen wird: Viele glutenfreie Produkte sind sehr komplex zusammengesetzt – auch um die Funktionalität des Glutens zu ersetzen – und enthalten dabei oftmals weniger wertvolle Nährstoffe als ihre glutenhaltigen Alternativen. Zudem zeigt eine Studie: Eine glutenfreie Ernährung bei gesunden Menschen verändert die Darmmikrobiota negativ, indem nützliche Bakterien wie Bifidobakterien abnehmen, während sich potenziell problematische Stämme wie Enterobacteriaceae und Escherichia coli vermehren.
Weizen und Gluten – Wer muss verzichten?
In bestimmten Fällen muss auf Weizen und Gluten verzichtet werden: Dazu zählt die Zöliakie, bei der Gluten eine chronische Entzündung auslöst und das Dünndarmgewebe schädigt. Diese Autoimmunerkrankung betrifft etwa 1 % der europäischen Bevölkerung.
Eine nachgewiesene Weizenallergie (betrifft ebenfalls ca. 1 %) erfordert ebenfalls das Meiden sämtlicher Weizenarten – einschließlich Dinkel, Emmer, Einkorn und Hartweizen. Hier lösen Proteinbestandteile wie Weizen-Albumin, Globulin und Gluten eine allergische Reaktion aus.
Die WDEIA (weizenabhängige anstrengungsindizierte Anaphylaxie) stellt eine lebensbedrohliche Sonderform dar. Betroffene reagieren nach Weizenverzehr in Kombination mit bestimmten Auslösern (Sport, Alkohol, Medikamente) mit schweren Symptomen, weshalb Weizen und Gluten gemieden werden müssen.
Bei der Nicht-Zöliakie-Weizen-Sensitivität (NCWS), die häufig Reizdarmpatienten betrifft, gilt Gluten inzwischen als unwahrscheinlicher Auslöser. Die Thematik Glutenverzicht bei Weizensensitivität wird jedoch weiter erforscht.
Sind „alte“ Getreidearten verträglicher?
Einkorn und Emmer erleben einen Boom, während moderne Weizensorten zunehmend kritisch betrachtet werden. In sozialen Medien preist man alte Sorten wegen ihres angeblich niedrigeren Glutengehalts und besserer Verträglichkeit an. Doch die Wissenschaft zeichnet ein anderes Bild: Unsere heutigen Weizensorten enthalten durch jahrzehntelange Züchtung mehr Stärke bei gleichzeitig weniger Protein aber vergleichbarem Glutengehalt. Tatsächlich beeinflussen Umweltfaktoren wie Niederschlagsmenge und Bodenqualität den Glutengehalt von Getreide stärker als die Sorte selbst.
Auch die Frage, ob Dinkel besser verträglich ist als Weizen, konnte bisher wissenschaftlich nicht abschließend geklärt werden: Er enthält ähnliche Glutenmengen wie Weizen. Studien an Personen mit Weizensensitivität zeigen auch, dass hinsichtlich der Verträglichkeit zwischen Weizen- und Dinkelbroten kein Unterschied feststellbar ist.
Für die Verträglichkeit von Brot und Backwaren spielt die Verarbeitungsmethode eine entscheidende Rolle. Besonders traditionelle Techniken wie lange Teigführungen und Sauerteigfermentation fördern den Abbau schwer verdaulicher Komponenten. Diese natürlichen Fermentationsprozesse steigern die Bekömmlichkeit erheblich und können vor allem Menschen mit sensibler Verdauung Vorteile bieten.
Zusammenfassung
Weizen, eines der ältesten Kulturgetreide, steht in Industrienationen trotz seiner Bedeutung als globales Grundnahrungsmittel zunehmend in der Kritik. Dabei liefert Getreide weltweit fast 50 % der Nahrungsenergie. Weizen bietet eine ideale Nährstoffkombination aus Kohlenhydraten, Protein, Ballaststoffen und verschiedenen B-Vitaminen und Mineralstoffen. Die Ballaststoffe wirken nachweislich präventiv gegen verschiedene Erkrankungen.
Mythen über Gluten als generelles Gesundheitsrisiko sind wissenschaftlich nicht haltbar. Glutenfreie Ernährung kann bei Gesunden sogar zu Nährstoffdefiziten und negativen Veränderungen der Darmmikrobiota führen. Nur bei bestimmten Erkrankungen ist ein Glutenverzicht notwendig: bei Zöliakie (ca.1 % der europäischen Bevölkerung), Weizenallergie (ca. 1 %) und WDEIA (weizenabhängige anstrengungsindizierte Anaphylaxie).
Entgegen populärer Annahmen enthalten moderne Weizensorten nicht mehr Gluten als alte Weizenarten wie Emmer und Einkorn. Die immer wieder berichtete besserer Verträglichkeit von Dinkel konnte bisher in wissenschaftlichen Studien nicht abschließend bestätigt werden. Die Verarbeitungsmethode, besonders lange Teigführung und Sauerteigfermentation, beeinflusst die Bekömmlichkeit von Backwaren wesentlich stärker als die Getreideart und die Getreidesorte.
Quellen:
[1] BMEL Agrarstatisik 2022/23: www.bmel-statistik.de/ernaehrung/versorgungsbilanzen/getreide (last accessed on 9 January 2025).
[2] Brouns F, Geisslitz S, Guzman C, et al: Do ancient wheats contain less gluten than modern bread wheat, in favour of better health? Nutr Bull 2022; 47(2): 157–67. DOI: 10.1111/nbu.12551.
[3] Felber J, Bläker H, Fischbach W, et al.: Aktualisierte S2k-Leitlinie Zöliakie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS). Z Gastroenterol 2022; 60(5): 790–856. DOI: 10.1055/a-1741-5946.
[4] Peleg N, Niv Y, Dickman R, et al.: The effects of gluten-free diet on body mass indexes in adults with celiac disease: a systematic review and meta-analysis of observational studies. J Clin Gastroenterol 2024; 58(10): 989–97. DOI: 10.1097/MCG.0000000000001998.