EHEC & Co. in Getreide – Kann der Verzehr von Getreideerzeugnissen Krankheiten auslösen?

Foto: ©Skitterphoto on Pixabay

Prof. Dr. Bärbel Kniel, Vorstand biotask AG, Esslingen, Dienstleistungsunternehmen für die Getreidekette – Untersuchung und Beratung, Redaktionsmitglied von BACKWAREN AKTUELL

Prof. Dr. Peter Köhler, wissenschaftlicher Getreidechemiker an der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in Freising von 1988 bis 2017. Seitdem Technischer Leiter bei biotask AG, Esslingen, Autor zahlreicher Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Getreidechemie

Kann der Verzehr von Getreideerzeugnissen Krankheiten auslösen? Die Antwort lautet: sehr unwahrscheinlich, es kommt aber ganz auf den Einzelfall an. Tatsache ist, dass das Vorkommen von krankheitsauslösenden Mikroorganismen bei Getreide naturbedingt nicht ausgeschlossen werden kann. Selbst die heutigen, sehr ausgefeilten Reinigungstechnologien in den Mühlen können sie nicht zur Gänze entfernen. Zu diesen unliebsamen Keimen gehören auch bestimmte pathogene Escherichia coli, bekannt geworden durch den großen EHEC-Krankheitsausbruch im Jahr 2011, der sehr wahrscheinlich durch importierte Bockshornkleesamen aus Ägypten ausgelöst wurde.

Wo lauern hier die Gefahren? Die gute Nachricht: Bei durchgebackenen Backwaren sicher nicht, eher bei Getreideerzeugnissen und daraus hergestellten Produkten, die vor dem Verzehr nicht ausreichend erhitzt werden.

Seit mehreren Jahren ist in der Mühlenwirtschaft, der Lebensmittelüberwachung und bei staatlichen Institutionen wie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ein steigendes Interesse an dem Vorkommen von Shigatoxin-bildenden Escherichia coli (STEC) in Getreide und Getreidemehlen zu verzeichnen. Maßgeblicher Auslöser waren größere, durch STEC verursachte Krankheitsausbrüche in den USA und Kanada, die auf den Verzehr von nicht erhitzten Teigen oder Massen aus Weizenmehl zurückgeführt wurden [1]. Seitdem werden auch in Deutschland, Österreich und in der Schweiz das Vorhandensein dieser Krankheitserreger in Mehlen und Teigen untersucht und deren Eintragswege, Stabilität und Inaktivierungsmöglichkeiten erforscht [2, 3, 4].

Was sind STEC?

Nicht alle Bakterien, die zu der Gruppe der STEC gehören, sind gesundheitsschädlich. STEC, die beim Menschen zu Erkrankungen führen, werden als enterohämorrhagische Escherichia coli (EHEC) bezeichnet (Abb. 1). Die Krankheitssymptome reichen von Durchfallerkrankungen bis zu dem besonders schwerwiegenden hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS). Dieses äußert sich unter anderem in einem akutem Nierenversagen. In Einzelfällen sind tödliche Verläufe möglich. Kleine Kinder sind von dieser Krankheit besonders betroffen.
Im Jahr 2011 gab es einen großen Krankheitsausbruch in Deutschland, sehr wahrscheinlich ausgelöst durch den Verzehr von Sprossen aus kontaminierten Bockshornkleesamen.

Abb. 1: EHEC unter dem Mikroskop
Foto: ©peterschreiber.media on iStock

Wie kommen STEC in Getreide und Mehle?

In den letzten Jahren haben veröffentlichte Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung gezeigt, dass STEC und darunter auch die pathogenen EHEC in Mehlen aus Weizen, Dinkel und Roggen vorkommen können [2, 3, 4]. STEC konnten in 10 % bis 21 % der in Deutschland untersuchten Proben isoliert werden. Die Nachweisrate hing von der Anzahl der jeweils untersuchten Proben pro Mehlmuster oder der untersuchten Probenmenge ab [3]. In einer Stellungnahme des BfR (2020) wird aufgrund der bislang vorliegenden Datenlage geschlussfolgert, dass das Vorkommen von STEC in Mehlen zwischen 10 % und 30 % liegt [2].
Die möglichen Eintragswege von STEC in Mehl werden derzeit diskutiert. Als Hauptquelle wird der Befall des Getreidekorns auf dem Feld vermutet. Da STEC im Darm von Wiederkäuern vorkommen, können sie über den Kot in die Umwelt gelangen. Die Ausbringung von Gülle und anderen organischen Düngern aus der Tierhaltung auf Felder, der Kot von Wildwiederkäuern wie Rehen und die Bewässerung mit kontaminiertem Oberflächenwasser können zur Übertragung von STEC auf Getreide führen.
In den Mühlen können STEC trotz vielfältiger Reinigungsmaßnahmen des eingesetzten Getreides überleben, und es kann bei der Vermahlung eine Verteilung der Keime erfolgen, sodass diese auch gegebenenfalls in Mehlen vorhanden sind.

Wann machen diese Keime krank?

In Mehlen können STEC über längere Zeiträume lebensfähig sein, vermehren sich darin aber wegen der geringen Wasseraktivität nicht. Eine Vermehrung kann aber bei geeigneten Umgebungsbedingungen stattfinden, wie sie beispielsweise in Teigen und Massen aufgrund ihrer im Vergleich zu Mehl deutlich höheren Wasseraktivität vorliegen.
Mit Mehlen in Verbindung stehende Krankheitsausbrüche durch EHEC sind in Deutschland bislang nicht bekannt geworden. Überwiegend werden Getreidemehle in Form von damit hergestellten Backwaren verzehrt. Bei der Herstellung von Backwaren, die eine ausreichende hydrothermische Behandlung durch den Backvorgang beinhaltet, werden diese Keime abgetötet.
Der Verzehr von nicht durchgebackenen Teigen oder Massen insbesondere durch Kinder („Naschen“) kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. So können Haushaltsmehle, Backmischungen, Fertigteige, Tiefkühl-Teige, aber auch Getreide, die im Einzelhandel an den Verbraucher abgegeben werden, ein Risiko für eine EHEC-Infektion darstellen, wenn diese Erzeugnisse bei der Verwendung im Haushalt nicht ordnungsgemäß entsprechend den Verarbeitungsempfehlungen der Hersteller durchgebacken werden oder Kinder nicht durchgebackene Teige oder Massen verzehren.

Viele Hersteller von Haushaltsmehlen haben daher mittlerweile den vom Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft empfohlenen Hinweis auf den Verpackungen angebracht, dass Mehle und Teige nicht zum Rohverzehr bestimmt sind und stets gut durchgebacken werden müssen (Abb. 2).

Abb. 2: Verzehrhinweis auf einer Mehlpackung Foto: ©Verband der Getreide-, Mühlen und Stärkewirtschaft e.V.

In seiner Stellungnahme 2021/88/02 der 88. Arbeitstagung bewertet das zuständige Fachgremium ALTS diesen Hinweis als geeignet, um Verbraucher auf die mögliche Gefahr hinzuweisen. Produkte ohne einen solchen Hinweis stuft der ALTS als nicht sicher ein, sollten STEC gefunden werden [6].
Eine weitere potenzielle Gefahrenquelle stellen die derzeit beliebten „Cookie doughs“ dar. Hierbei handelt es sich um ungebackene Rührmassen, die als solche verzehrt werden. Bei der professionellen Herstellung dieser Erzeugnisse werden thermisch behandelte Mehle eingesetzt, um Krankheiten vorzubeugen. Es ist davon auszugehen, dass bei dieser Hitzebehandlung pathogene Keime wie EHEC inaktiviert werden.

Untersuchungen im Rahmen des Europäischen Getreidemonitorings

Um die Datenlage zum Vorkommen von STEC in Weizen und Roggengetreide sowie daraus hergestellter Mehle zu verbessern, werden im Rahmen des Europäischen Getreidemonitorings (EGM) seit der Ernte 2016 entsprechende mikrobiologische Analysen durchgeführt. Darüber hinaus wurden im Jahr 2020 gezielt 90 Weizenmehle aus dem deutschen und österreichischen Einzelhandel untersucht.
Die mikrobiologische Untersuchung auf STEC ist alles andere als trivial. In einem ersten Schritt wird auf das Vorhandensein der Erbsubstanz (DNS) dieser Bakterien mittels PCR (Polymerase Chain Reaction) geprüft. Kann die DNS dieser pathogenen Keime nachgewiesen werden, bedeutet das aber keinesfalls, dass diese Mikroorganismen lebensfähig sind, was die Voraussetzung für ihr pathogenes Potenzial ist. Erst in einem zweiten Schritt wird mit einer aufwendigen Kultivierung geprüft, ob es sich tatsächlich um lebende STEC handelt.

Ergebnisse

In Abbildung 3 sind die Untersuchungsergebnisse aus sechs Getreidewirtschaftsjahren dargestellt. Sie basieren auf dem ersten Untersuchungsschritt, also dem Nachweis der STEC-Erbsubstanz mittels PCR. Auf den zweiten Untersuchungsschritt für den Nachweis der Lebensfähigkeit wurde in den meisten Fällen verzichtet, da es sich überwiegend um Erzeugnisse handelte, die zur Herstellung von Backwaren bestimmt waren, sodass möglicherweise vorhandene STEC durch den Backprozess abgetötet wurden. Deutlich zu erkennen sind die recht unterschiedlichen Nachweishäufigkeiten in den einzelnen Jahren. Sie bewegen sich zwischen immerhin 14,6 % im Getreidewirtschaftsjahr 2016/2017 und nur 1,1 % im Getreidewirtschaftsjahr 2019/2020. Diese Unterschiede können auf die jeweiligen Witterungsbedingungen im Anbaujahr zurückgeführt werden. Die Sommer in den Jahren 2018, 2019 und 2020 waren überdurchschnittlich trocken und heiß, was die Vermehrung von Mikroorganismen limitierte. Die Witterung im letzten Erntejahr 2021 war dagegen in vielen Teilen Deutschlands recht feucht, was deren Wachstum förderte. Das geht auch aus Abbildung 4 hervor, in der die sehr hohe Korrelation zwischen der Gesamtkeimzahl und den STEC-Befunden dargestellt ist. Dies bedeutet schlussendlich, dass bei nicht beherrschbaren Witterungsbedingungen mit einem unterschiedlichen Aufkommen von STEC in Getreidemehlen gerechnet werden muss, da diese wie bereits erwähnt selbst bei den sehr ausgefeilten Reinigungsverfahren in den Mühlen nicht vollständig entfernt werden können.

Abb. 3:  Prozentsatz positiver PCR-Befunde beim Nachweis von STEC in Weizengetreide,  Weizenmehl, Roggengetreide, Roggenmehl und ‑schrot. Dargestellt sind Daten des EGM aus  den Getreidewirtschaftsjahren 2016/2017 bis 2021/2022.
Abb. 3: Prozentsatz positiver PCR-Befunde beim Nachweis von STEC in Weizengetreide, Weizenmehl, Roggengetreide, Roggenmehl und ‑schrot. Dargestellt sind Daten des EGM aus den Getreidewirtschaftsjahren 2016/2017 bis 2021/2022.
Abb. 4: Zusammenhang zwischen der Nachweishäufigkeit von STEC in Weizengetreide, Weizenmehl, Roggengetreide, Roggenmehl und ‑schrot und der Gesamtkeimzahl. Dargestellt sind Daten des EGM aus den Getreidewirtschaftsjahren 2016/2017 bis 2021/2022. R2 = Bestimmheitsmaß.

Bei der Untersuchung von 90 Haushaltsweizenmehlen aus dem deutschen und österreichischen Lebensmitteleinzelhandel ergab sich sowohl mittels PCR als auch über die nachfolgende Kultivierung eine Nachweisquote von 2,2 %, unabhängig von der Art des Mehls (Typenmehl, Vollkornmehl) und der Region [5]. Die Nachweishäufigkeit lag damit deutlich niedriger als in anderen veröffentlichten Untersuchungen [2, 3, 4]. Dabei ist zu bedenken, dass die hier beschriebenen Untersuchungen anhand von Mehlen aus Getreideernten mit trockenen Witterungsbedingungen stattfanden und die Ergebnisse nicht auf andere Erntejahre übertragbar sind.

Fazit

Auf Basis dieser Erkenntnisse kann nur die dringende Empfehlung ausgesprochen werden, bei allen Getreideerzeugnissen, die nicht zur gewerblichen Weiterverarbeitung durch Backen oder gleichwertige Erhitzungsprozesse bestimmt sind, einen entsprechenden Verzehr- bzw. Warnhinweis zu kommunizieren. Andersfalls führt es bei einem positiven STEC-Befund in diesen Erzeugnissen dazu, dass sie als unsicher eingestuft werden, da davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind.

Zusammenfassung

In den letzten Jahren haben veröffentlichte Ergebnisse der amtlichen Lebensmittelüberwachung gezeigt, dass Shigatoxin-bildende Escherichia coli (STEC) und darunter auch pathogene EHEC in Mehlen aus Weizen, Dinkel und Roggen vorkommen können. Mit Mehlen in Verbindung stehende Krankheitsausbrüche durch EHEC sind in Deutschland bislang nicht bekannt geworden. Überwiegend werden Getreidemehle in Form von damit hergestellten Backwaren verzehrt.

Bei der Herstellung von Backwaren, die eine ausreichende hydrothermische Behandlung durch den Backvorgang beinhaltet, werden diese Keime abgetötet. Der Verzehr von nicht durchgebackenen Teigen oder Massen insbesondere durch Kinder („Naschen“) kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Die Daten aus dem Europäischen Getreidemonitoring zeigen, dass mit dem Vorkommen insbesondere bei feuchten Erntejahren gerechnet werden muss. Entsprechende Verzehr- bzw. Warnhinweise sollten bei diesen Produkten kommuniziert werden, um Verbraucher und Verbraucherinnen bestmöglich aufzuklären.

Literaturangaben

[1] Sosland, J: Contaminated flour investigation detailed by CDC, 2017
https://www.world-grain.com/articles/8985-contaminated-flour-investigation-detailed-by-cdc. Aufgerufen am 09.02.2019.

[2] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): Escherichia coli in Mehl – Quellen, Risiken und Vorbeugung. Stellungnahme Nr. 004/2020 des BfR vom 20. Januar 2020
https://www.bfr.bund.de/cm/343/escherichia-coli-in-mehl-quellen-risiken-und-vorbeugung.pdf

[3] Schuh, E.; Göhler, A.; Projahn, M.: Shigatoxin-bildende Escherichia coli in Mehl. – Getreide, Mehl und Brot 4/2020: 181-186.

[4] Mäde, D.; Geuthner, A-C.; Imming, R.; Wicke, A.: Detection and isolation of Shiga-Toxin producing Escherichia coli in flour in Germany between 2014 and 2017. – J Consum Prot Food Saf (2017) 12:245-2 53

[5] Kniel, B., Köhler, P., Moser, M., Andrei, P.: Untersuchungen über das Vorkommen von Shigatoxin-bildenden Escherichia coli in Weizenmehlen aus dem Lebensmitteleinzelhandel.
Getreide Mehl und Brot 1/2021, 11 – 15

[6] Arbeitskreis der auf dem Gebiet der Lebensmittelhygiene und der Lebensmittel tierischer Herkunft tätigen Sachverständigen (ALTS): Beschluss 2021/88/02 der 88. Arbeitstagung vom Dezember 2021. J Consum Pro Food Saf (2021)

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