Hier schreiben meyer.rechtsanwälte darüber, was in der Welt des Lebensmittelrechts vor sich geht. Was gibt es Neues? Was gilt es zu beachten? Und welche Kuriositäten gibt es zu berichten?
Julia Ciric, Rechtsanwältin
Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Lebensmittelrecht mit allen seinen Facetten wie Produktentwicklung, Kennzeichnung und Health Claims, Risk Assessment und Krisenmanagement
Backwaren im Wandel der Zeit – Bäcker können auch auf innovative Zutaten zugreifen
Das Brot ist seit Jahrtausenden eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel. Es stellt für viele Menschen das Sinnbild der Nahrung dar. In Deutschland gibt es – wie sonst nirgendwo auf der Welt – 3.000 verschiedene Brotsorten. Nicht eingerechnet sind 1.200 Kleingebäcke wie Brötchen und Brezeln. Bestandteil eines Brotlaibs waren und sind bis heute Mehl, Wasser, Natursauerteig, Hefe, Salz und Zucker, jedoch auch innovative Zutaten gewinnen sowohl bei den Backstuben als auch Großbäckereien immer mehr an Beliebtheit. Sei es das klassische Brot oder auch Croissant.
Einige dieser „neuartigen“ Backwaren-Zutaten werden im Folgenden dargestellt und erörtert. Worum handelt es sich und wozu werden diese verwendet? Wie sind diese Zutaten rechtlich einzuordnen?
1. UV-behandelte Bäckerhefe
Mit dem Durchführungsbeschluss 2014/396/EU vom 24. Juni 2014 genehmigte die Europäische Kommission das Inverkehrbringen von UV-behandelter Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) als neuartige Lebensmittelzutat. Weitere Durchführungsbeschlüsse mit anderen Anwendungen folgten. In der Unionsliste (Durchführungsverordnung (EU) 2017/2470) gelistet ist UV-behandelte Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae) sowie UV-behandeltes Brot unter jeweiliger Angabe von spezifizierten Lebensmittelkategorien, Höchstgehalten und Bezeichnungen. Zweck der UV-Behandlung ist dabei, den Vitamin-D-Gehalt in den jeweiligen Backwaren zu erhöhen. Allerdings handelt es sich in allen Fällen eigentlich gar nicht um ein neuartiges Lebensmittel. Die UV-Behandlung stellt kein „nicht übliches Herstellungsverfahren“ im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a) Ziffer vii) der Novel-Food-Verordnung 2015/2283 (NFV) dar, da bereits 1927 entdeckt wurde, dass mittels UV-Bestrahlung von Hefe Vitamin D angereichert werden kann. Letztlich handelt es sich bei diesen Lebensmitteln also nur um (nicht neuartige) Lebensmittel, die mittels (herkömmlicher) UV-Bestrahlung mit (nicht neuartigem) Vitamin D angereichert werden und somit nicht um „neuartig“ im Sinne der NFV.
2. Insekten
Insekten gelten als neuartiges Lebensmittel nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) Ziffer v) NFV und fallen in den Anwendungsbereich. Das bedeutet, sie bedürfen für ihre Verwendung als Lebensmittel der Zulassung durch die EU-Kommission. Für 7 Arten wurden rechtzeitig Anträge gestellt, sodass diese bis zur endgültigen Entscheidung als Lebensmittel in Verkehr gebracht werden durften. Gemäß der Übergangsregelung in Art. 35 Abs. 2 NFV dürfen nämlich Speiseinsekten und insektenbasierte Lebensmittel, die vor dem 01. Januar 2018 rechtmäßig in der EU in Verkehr waren, weiter vermarktet werden, wenn vor dem 02. Januar 2020 ein Zulassungsantrag bei der EU-Kommission eingereicht worden ist. Die betroffenen Lebensmittel dürfen dann so lange weiterhin in den Verkehr gebracht werden, bis eine Entscheidung gemäß Art. 10 bis 12 bzw. 14 bis 19 NFV getroffen worden ist. Folgende Insektenarten wurden beantragt:
- Heimchen (Acheta domesticus)
- Buffalowürmer (Alphitobius diaperinus)
- Honigbienen-Drohnenbrut (Apis mellifera)
- Kurzflügelgrillen (Gryllodes sigillatus)
- Schwarze Soldatenfliegen (Hermetia illucens)
- Europäische Wanderheuschrecken (Locusta migratoria)
- Mehlwürmer (Tenebrio molitor)
Dabei geht es teilweise um unterschiedliche Verwendungen, mal der Larve, mal der ausgewachsenen Tiere, ganz oder gemahlen. Bisher zugelassen sind die Heimchen (Acheta domesticus), die Europäische Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) sowie auch die für Backwaren verwendeten gefrorenen, getrockneten und pulverförmigen Mehlwürmer (Larven von Tenebrio molitor).
3. Phosphatierte Maisstärke
Mit dem Durchführungsbeschluss 2011/494/EU vom 05. August 2011 genehmigte die Kommission das Inverkehrbringen phosphatierter Maisstärke (Phosphatiertes Distärkephosphat) als neuartige Lebensmittelzutat. Dabei handelt es sich um ein weißes oder fast weißes Pulver, Körner oder (in vorgelatinierter Form) Schuppen, amorphes Pulver oder grobe Partikel. Die nach der NFV zugelassene phosphatierte Maisstärke ist – trotz gleichem Namen – nicht mit der „traditionellen“ phosphatierten Maisstärke (E 1413) zu verwechseln. Letztere dient vor allem bei Backwaren als Verdickungsmittel, Stabilisator und Trägerstoff. Es handelt sich dabei um einen Lebensmittelzusatzstoff, der unter die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 fällt. Gleichzeitig fällt aber der traditionell genutzte Zusatzstoff aus der Anwendung der NFV heraus, da diese gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. b) Ziffer ii) Lebensmittelzusatzstoffe ausschließt. Das hingegen als neuartiges Lebensmittel zugelassene phosphatierte Distärkephosphat unterscheidet sich in seiner Zusammen- und Zwecksetzung von E1413 beachtlich: Denn Ersteres wird aus Amylose-reicherer Stärke gewonnen und soll in dieser modifizierten Zusammensetzung als Ballaststoff in Lebensmitteln eingesetzt werden. Sollten die Bäckereien auf die Idee kommen, die modifizierte phosphatierte Maisstärke als Verdickungsmittel oder Ähnliches zu nutzen, bedarf es danach einer eigenständigen Zulassung nach der VO (EG) Nr. 1333/2008 für Lebensmittelzusatzstoffe, da in der entsprechenden Spezifikation in VO (EU) Nr. 231/2012 nur die „traditionell“ phosphatierte Maisstärke als Lebensmittelzusatzstoff E1413 gelistet ist.