Hier schreiben meyer.rechtsanwälte darüber, was in der Welt des Lebensmittelrechts vor sich geht. Was gibt es Neues? Was gilt es zu beachten? Und welche Kuriositäten gibt es zu berichten?
Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Lebensmittelrecht mit allen seinen Facetten wie Produktentwicklung, Kennzeichnung und Health Claims, Risk Assessment und Krisenmanagement.
Information der Öffentlichkeit nach § 40 (1a) LFGB
Nach § 40 (1a) LFGB darf eine Behörde bei hinreichend begründetem Verdacht des Verstoßes u.a. gegen das Hygienerecht die Öffentlichkeit informieren, unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels sowie des Lebensmittelunternehmens.
Der Pranger
Solche an eine breite Öffentlichkeit gerichteten Informationen haben, zumal wenn sie durch eine Behörde mit ihrer staatlichen Autorität herausgegeben und daher von den Verbrauchern stets als „Warnung“ verstanden werden (heißt doch auch das staatliche Internetportal – nomen est omen – „lebensmittelwarnung.de“), erhebliche wirtschaftliche Folgen für die betroffenen Unternehmen. Die jeweilige Information wird, zumal über Medien und Social Media, schnell eine unkontrollierte, flächendeckende Eigendynamik entwickeln. Falls sich später jedoch ihre Unrichtigkeit herausstellt, sind die bis dahin eingetretenen Folgewirkungen für das betroffene Unternehmen nicht rücknehmbar. Verwaltungshandeln durch Information ist irreversibel und eine Verbraucherinformation zu – angeblichen – Rechtsverstößen eines Unternehmens für dieses existenzgefährdend, möglicherweise gar existenzvernichtend (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 2.3.2010, 9 S 171/09).
Das Rechtsstaatsprinzip verlangt aus dem heraus von Behörden maßvolle, auch zurückhaltende Entscheidungen.
Unverzüglich?
Wenn, dann dürfen Behörden nur „unverzüglich“ die Öffentlichkeit informieren – aber, was ist „unverzüglich“?
Im LFGB ist nicht näher definiert, wann eine Information der Öffentlichkeit noch „unverzüglich“ erfolgt. In der maßgeblichen BT-Drs. 19/8349, S. 19 zu § 40 LFGB heißt es, Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung, wie in der Vergangenheit teilweise erfolgt, wären im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich.
Mit dem tatbestandlichen Merkmal der Unverzüglichkeit soll ein möglichst geringer zeitlicher Abstand der zu veröffentlichenden Information zu dem die Informationspflicht auslösenden Rechtsverstoß und dadurch eine hohe Aktualität gewährleistet werden. Je weiter ein Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist auch der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt (BVerfG, Beschluss vom 21.3.2018 – 1 BvF 1/13, Rn. 58). Mit sinkender Aktualität der Information ist den hiervon Betroffenen die Veröffentlichung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG immer weniger zuzumuten (VGH BW, Beschl. v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20, juris Rn. 21; VG München, Beschl. v. 19.5.2020 – M 26 E 20.1579, juris Rn. 44).
Informationen sind sechs Monate nach der Veröffentlichung zu entfernen (§ 40 Abs. 4a LFGB); dies dürfte jedoch nicht die Schmerzgrenze des „Unverzüglichen“ sein.
Nach Auffassung des OVG Lüneburg (Beschl. v. 20.10.2022 – 14 ME 304/22, Rn. 21) fordert der Begriff „unverzüglich“ auch im Rahmen von § 40 Abs. 1a S. 1 Nr. 3 LFGB in Anlehnung an die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB ein Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“; dies wären sicherlich nicht mehrere Wochen (vgl. auch OVG Bremen, Beschl. v. 25.2.2022 – 1 B 487/21, juris Rn. 24; VGH BW, Beschl. v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20, juris Rn. 21; VG München, Beschl. v. 19.5.2020 – M 26 E 20.1579, juris Rn. 38).
Im BEHR´S Kommentar zum LFGB (63. Akt. 12/2019, Wiedner/Preuß, § 40 Rn. 114b) heißt es hierzu, nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 24.01.2008 (Az.: VII ZR 17/07) stünde dem Handelnden eine Prüfungs- und Überlegenszeit zu; je nach Einzelfall kann diese bis zu zwei Wochen (Höchstgrenze) dauern (BGH vom 25.02.1971, Az.: VII ZR 181/69). Somit habe die zuständige Behörde einen ausreichenden Zeitrahmen, den Sachverhalt vor der Veröffentlichung hinlänglich zu prüfen.
Im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der Norm und auf den Gesetzeszweck dürfte davon auszugehen sein, dass eine Veröffentlichung noch unverzüglich wäre, wenn eine etwaige Verzögerung auf sachlich gerechtfertigten Gründen beruhen würde (VGH München, Beschl. v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069).
Zur Bestimmung des angemessenen Zeitkorridors i.S.d. § 40 Abs. 1a LFGB kann orientierend die Wertung des § 5 Abs. 2 VIG herangezogen werden; danach soll die Behörde binnen maximal zwei Monaten über den Anspruch auf Information entscheiden (VGH München, Beschl. v. 4.11.2022 – 20 CE 22.2069, Rn. 18). Das VG Bayreuth (Beschl. v. 4.1.2022 – B 7 E 21.1321) entschied, dass nach einem verstrichenen Zeitraum von bis 13 Wochen es an dem von § 40 Abs. 1a LFGB vorausgesetzten engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verstoß und der geplanten Veröffentlichung fehle, zumal keine Umstände des Einzelfalls ersichtlich wären (z. B. aufwendige Ermittlungen), die eine Veröffentlichung gleichwohl noch als unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB erscheinen lassen könnten.
Was ist also „unverzüglich“ im Kontext des § 40 (1a) LFGB? Maximal zwei Monate, und selbst dann bedarf jedwede etwaige Verzögerung einer Rechtfertigung, sicherlich jedoch keine sechs Monate.