Schon mal von einer Sackothek gehört? Mehlsäcke mit 1000 Gesichtern, ein Denkmal für die Müller

Dr. Oliver Seifert, kuratorische Tätigkeit beim MehlWelten Museum, Wittenburg

Zwei Zufallsfunde führten zu einer der umfangreichsten kulturhistorischen Ausstellungen über die Bedeutung des Mehls für die Menschheit. Als Symbol dafür steht in Wittenburg bei Hamburg eine figürliche Lebendrekonstruktion des Ötzi, der vor 5.300 Jahren lebte. „Der Mann aus dem Eis“ war der erste Mensch, von dem nachgewiesen ist, dass er Getreideprodukte gegessen hat.

Ausgangspunkt des Museums war der Fund eines Mehlsacks am Strand von Dubai im Jahr 1998. Für Volkmar Wywiol, den Gesellschafter des deutschen Spezialisten für Mehlverbesserung und Mehlanreicherung Mühlenchemie, begann hier mit seinem zufällig gefundenen ersten Exponat eine ungewöhnliche Sammlung von Mehlsäcken. Heute bildet sie mit über 3.500 Mehlsäcken aus mehr als 140 Ländern das Herzstück des MehlWelten Museums in Wittenburg, das sich der Kulturgeschichte eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel der Menschheit widmet. Die Logos der Müller erzählen von der Tradition, den Geschichten und Mythen des Mehls.

„Wissensforum Getreide“

„Wir sehen unsere Sammlung als `Hall of Fame` für alle Müller, die die Menschen tagtäglich mit Mehl versorgen“, sagt Volkmar Wywiol zu seiner Idee, ein Museum zum Thema Mehl aufzubauen. Das MehlWelten Museum versteht sich als „Wissensforum Getreide“, das die Bedeutung des Mehls erlebbar macht. „Wir wollen auch Verbraucher mit der Geschichte und Bedeutung des Korns für unser täglich Brot vertraut machen“, ergänzt Wywiol. Darüber hinaus wurde es im Vorjahr zu einem einzigartigen Tagungszentrum mit Seminar- und Veranstaltungsräumen ausgebaut, das den Beruf des Müllers in einen kulturhistorischen Kontext stellt.

Während es im Erdgeschoss des neoklassizistischen Gebäudes aus dem Jahr 1848 um die Mehlsäcke und ihre Motive geht, dreht sich im Obergeschoss alles um die Kulturgeschichte des Mehls selbst. Der Titel „Mehl.Macht.Leben.“ verdeutlicht die große Bedeutung, die das unscheinbare und alltäglich wirkende Mehl für die Geschichte der Menschheit hatte: Es ermöglicht nicht nur die blanke Existenz der Menschen, sondern ist auch die Grundlage jedes Staatsgebildes, das über die Größenordnung einer Stammesgesellschaft hinausgeht. Mehl bedeutet eben nicht nur Leben, sondern auch Macht.

Einzigartige Nachbildung der Figur des Ötzi

Als eindrucksvolles Symbol der Urgeschichte des Getreideanbaus begrüßt der „Mann aus dem Eis“ die Besucher und eröffnet multimedial die Ausstellung. Der Körper der Gletschermumie, der in den Ötztaler Alpen gefunden wurde, ist perfekt erhalten und öffnet uns die Sicht unmittelbar auf die Zeit vor 5.300 Jahren, die Frühzeit des Ackerbaus in Europa. Tatsächlich wurden in den Resten von Ötzis Fellmantel zwei Körner des kultivierten Einkorns  gefunden. Das Einkorn gilt als die älteste Kulturgetreideart. Die Nachbildung der Figur des Ötzi ist die einzige in ganz Deutschland. Sie wurde in enger Kooperation mit dem Südtiroler Archäologiemuseum Bozen entwickelt. Grundlage für die Gestaltung der Figur ist eine Computertomografie vom Skelett der Gletschermumie. Fellkleidung, Schuhwerk und Kupferbeil sind nach den Originalfunden gefertigt.

Die Räume thematisieren die Neolithische Revolution und die Rolle, die der Ackerbau für die Entwicklung der ersten Hochkulturen gespielt hat. Obwohl der Mensch Wildgräser schon seit Jahrtausenden gesammelt hatte, ging er erst vor etwa 10.000 Jahren dazu über, sie auch gezielt auszusäen.

Sammler und Jäger werden sesshaft

Dabei wurden Pflanzen bevorzugt, deren Ähre nicht schon bei der leisesten Berührung ihre Körner verlor, sondern solche, deren Körner fest beisammen blieben. Indem solche Ähren ausgewählt wurden, konnte sich in relativ kurzer Zeit dieses Merkmal durchsetzen. In dieser kleinen Veränderung besteht das eigentliche Prinzip der Kultivierung des Getreides.

Diesen Übergang nennt man „Neolithische Revolution“, weil durch die neue „anpflanzende“ Lebensart das bisherige Leben der altsteinzeitlichen Menschen, die nur vom Sammeln und Jagen lebten, radikal verändert wurde. In der Neusteinzeit folgte man nicht mehr in kleinen Gruppen dem eiszeitlichen Großwild wie Mammut oder Elch, sondern wurde sesshaft. Die Felder mussten ständig vor Tieren und Unkraut geschützt werden. Die Vorräte aus dem lagerbaren Getreide erlaubten trotz der Gefahr von Missernten langfristig ein Anwachsen der Gruppen. Aus Großfamilien wurden Clans, aus Clans Häuptlingstümer, die einige Tausend Menschen umfassen konnten.

Getreideanbau lässt Bevölkerung wachsen

Das Getreide ermöglichte ein langfristiges Anwachsen der Bevölkerungszahl. Und weil der Flächenbedarf viel geringer war als bei der Rinderhaltung, konnten Städte entstehen. Die Häuptlingstümer wuchsen weiter zu staatlichen Gebilden, die nun mehrere Zehn- oder Hunderttausend Menschen umfassen konnten. Diese wurden von einem regelrechten Herrscher (Großkönig, Pharao, Kaiser) indirekt über eine eigene Klasse von Hofbeamten verwaltet, was zu einer Differenzierung der Gesellschaft führte. Auch wurden schriftliche Aufzeichnungen zu Steuerabgaben angefertigt. Riesige Bewässerungsanlagen und zentrale Herrschersitze und Kultzentren entstanden und mussten vor Angreifern geschützt werden. Auch der Handel über Fernstraßen und Märkte entwickelte sich gewaltig. Das war der Beginn der ersten Hochkulturen.

Ausbau zu weiteren Themen geplant

Mühlenchemie arbeitet kontinuierlich an der Erweiterung des Museums. Bis heute sind zwei erste Themenräume fertiggestellt und von den Kuratoren für die Besucher eindrucksvoll erlebbar gemacht. Geplant ist ein Rundgang durch die Kulturgeschichte des Mehls zu den Themen „Getreide und Mehl im Glauben der Völker“, „Industrialisierung von Landwirtschaft und Müllerei“, „Die Zukunft des Mehls“, „Mehlinhaltsstoffe, Mehlverbesserung, Enzyme und Mehlprodukte aus aller Welt“.

Zusammenfassung

Im MehlWelten Museum erzählen der Ötzi und 3.500 Mehlsäcke die Kulturgeschichte des Getreides. Als besondere Attraktion ist eine figürliche Lebendrekonstruktion des Mannes aus dem Eis zu sehen, der vor 5.300 Jahren lebte. Er steht für den ersten Menschen, von dem bekannt ist, dass er Getreideprodukte gegessen hat. Bei dem Wittenburger Ötzi handelt es sich um die in Deutschland einzige Originalnachbildung des prähistorischen Sensationsfundes aus den Ötztaler Alpen, dessen Präsentation durch eine enge Kooperation mit dem Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen ermöglicht wurde. Das MehlWelten Museum versteht sich als „Wissensforum Getreide“ und Hall of Fame für alle Müller, die die Menschen tagtäglich mit Mehl versorgen. Damit die einzigartige Sammlung weiter wächst, sind Müller der ganzen Welt herzlich eingeladen, ihre Mehlsackmotive an die Mühlenchemie zu schicken. Das neoklassizistische Gebäude, das ca. 70 Kilometer vor den Toren Hamburgs liegt, wurde im Vorjahr zu einem einzigartigen Tagungszentrum mit Seminar- und Veranstaltungsräumen ausgebaut.

 

MehlWelten Museum

Am Amtsberg 2

19243 Wittenburg

 

www.mehlwelten.de

www.muehlenchemie.de

 

Öffnungszeiten

März bis Oktober: jeden 1. und 3. Samstag, jeden Sonntag 11:00–17:00 Uhr

November bis Februar: jeden 1. und 3. Sonntag 11:00–17:00 Uhr oder auf Anfrage

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