Christbrote uff Weihnachten – Der Stollen

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Irene Krauß, Volkskundlerin, ehem. Leiterin des Museums der Brotkultur, freiberufliche Publizistin und Autorin zahlreicher Werke zur Entstehung und Entwicklung von Backwaren und zur Nahrungsvolkskunde

Stollen ist ein Weihnachtsgebäck mit jahrhundertelanger Tradition. Im Zunftprivileg der Naumburger Bäcker aus dem Jahr 1329 wurde der Stollen erstmals erwähnt. Von weihnachtlichem Höchstgenuss war damals – zumindest aus heutiger Sicht – allerdings noch nicht die Rede. Es handelte sich seinerzeit um ein eher einfaches Weißbrot. Nach und nach kamen hochwertige, gehaltvolle Zutaten in den schweren Hefeteig, die das traditionelle Backwerk zu dem machten, was es heute ist.

Kulinarische Memoiren

Conrad Ferdinand Meyer, einer der bedeutenden Schweizer Dichter des 19. Jahrhunderts, wartete Jahr um Jahr voller Sehnsucht auf jene hochfeine Weihnachtsköstlichkeit und notierte:

„ihr stollen ist noch nicht angelangt wegen der schneefälle“. Sein Ziel muss der Christstollen letztlich wohl noch erreicht haben, denn wenig später pries Meyer das Backwerk mit den Worten: „ihr stollen, l. freund, schmeckt mir ganz vorzüglich und wird mit jedem tage besser. Ich habe diese Leipziger stollen früher nicht nach verdienen gewürdigt.“

Solche kulinarischen Erinnerungen sind weder einzigartige noch sonderlich frühe Belege für das traditionelle schwere Hefegebäck, aber die Aussagen zeigen uns stellvertretend für viele andere, dass der Stollen seit Langem schon eng mit dem Weihnachtsfest verbunden und sehr begehrt war.

Ohne Zweifel also war und ist der Stollen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vom weihnachtlichen Festkreis nicht wegzudenken. Werfen wir einen Blick zurück: Die Ursprünge des Stollens als Weihnachtsbackwerk lassen sich bis ins Jahr 1329 zurückverfolgen. In Naumburg an der Saale – und nicht etwa in Dresden, wo für viele der Begriff eher beheimatet ist – hatte Bischof Heinrich in jenem Jahr den Bäckern ein neues Zunftprivileg erteilt unter der Bedingung, dass ihm und seinen Nachfolgern zu Weihnachten stets zwei Stollen aus je einem halben Scheffel Weizen zu liefern seien. Quasi als eine kulinarische kirchliche Abgabe zum Fest also. Demnach ist anzunehmen, dass das Backwerk damals schon – also vor nunmehr gut 690 Jahren – allgemein recht bekannt gewesen sein muss. Rezepte für Stollengebäcke sind aus der Ursprungszeit jedoch nicht überliefert und vom „Naumburger Stollen“ spricht mittlerweile ohnehin kein Mensch mehr. Nahezu jeder aber kennt heute den Dresdner Christstollen.

Die Dresdner und ihr Stollen

Seit wann kann man das eigentlich sagen, Dresden, die Stollenstadt? Die Stollen-Nachrichten erscheinen zunächst eher vereinzelt. Erst im Jahre 1474 wurde das Backwerk nachweislich zum ersten Male erwähnt, und zwar in einer Rechnung an das Dresdner Hospital vom Heiligen Bartholomäus. Daraus erfahren wir über den Einkauf von Stollen als Weihnachtsgabe:

„Item 7 gr vor zcwey Christbrot den armen luten uff wynachten.“

Übersetzt bedeutet das: „Ebenso 7 Groschen für 2 Christbrote für die armen Leute zu Weihnachten“, woraus hervorgeht, dass Stollen als milde Weihnachtsgabe auch an die Armen verteilt worden sind.

Rund 20 Jahre später, 1496, waren die „christbrote uff weihnachten“ in der Stadt dann schon so populär, dass man sie als Handelsware auf allen Märkten verkaufte. Und nochmals einige Jahrzehnte später, 1560, müssen die Stollen so gut geschmeckt haben, dass es sich der Dresdner Bürgermeister nicht nehmen ließ, seine Ratsherren während der Weihnachtsfeiertage „inn dy strutzel zcu laden“. Mit anderen Worten: ein weihnachtliches Striezel-, also Stollenessen auf Kosten der Stadt.

„Schinken- und Striezelgeld“

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war man sogar schon so weit, dass jeder Ratsherr zu Weihnachten gleich zwei, allerdings Siebenlehner Stollen aus dem Vogtland zugestellt bekam. Und um die festlichen Gelegenheiten im Jahreskreislauf noch zu vervollständigen: An Ostern gab es zur Freude der Westfalen einen westfälischen Schinken als kulinarisches Geschenk. Übrigens wurden 1617 beide Naturalbezüge durch einen Reichstaler ersetzt. Die Bezeichnung „Schinken- und Striezelgeld“ blieb indes erhalten.
Trotz der angeführten Einzelbelege war Dresden vor 500 Jahren noch keineswegs die Stollenhochburg, die es heute ist. Um diese Vorrangstellung musste die Stadt lange und hart kämpfen. Beachtliche Konkurrenz ergab sich durch die feinen Stollen aus Meißen und Siebenlehn und so dauerte es nicht lange, bis die drei Städte einen wahren „Stollenkrieg“ führten. 1615 gar forderte die Meißner Bäckerinnung, den Siebenlehner Stollen-Lieferanten die Einfahrt in die Stadt zu verweigern. Auch in Dresden wurden die Siebenlehner kaum glücklich, denn dort lauerten ihnen die ortsansässigen Bäcker auf, verprügelten sie, warfen ihre Wagen um oder zündeten sie gar an.

Erst nach dem Dreißigjährigen Krieg änderte sich die Situation schlagartig und den Streitigkeiten wurde ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben. Zur Zeit des Striezelmarktes durften auswärtige Stollen-Lieferanten gar nicht erst in die Stadt hinein, womit die Dresdner Bäcker ihr ersehntes Stollen-Monopol erreicht hatten. Von da an konnten sie mit ihrem feinen Backwerk den kurfürstlichen, später den königlichen Hof beliefern. Mittlerweile handelt es sich beim Dresdner Stollen um eine geschützte geografische Angabe der Europäischen Union. Demzufolge darf ein Dresdner Stollen nur dann als solcher bezeichnet werden, wenn er im Groβraum Dresden hergestellt wurde und mindestens 50 kg Butter, 65 kg Sultaninen, 20 kg Zitronat und/oder Orangeat sowie 15 kg Mandeln auf 100 kg Mehl enthält.

Von Butter und anderen feinen Zutaten

Zurück zur Historie um den (Dresdner) Stollen. Vom Feinsten sollten die benötigten Stollenzutaten wie Mandeln, Rosinen und Butter natürlich sein. Denn dass ein Backergebnis niemals besser sein kann als die Zutaten es zulassen, das wussten schon die sächsischen Kurfürsten des 15. Jahrhunderts. Da es nämlich verboten war, während der Fastenzeit – und die Adventszeit war früher in katholischen Gegenden eine solche –  Butter zu verwenden, hätte man das damals übliche Rüböl (= Rapsöl) verwenden müssen. Das wiederum dürfte den sächsischen Kurfürsten, den Brüdern Ernst und Albrecht mitsamt ihren Untertanen, ganz gehörig den Appetit auf die Köstlichkeit verschlagen haben. Was tun? Man wandte sich anno 1470 an Rom und bat den Papst um eine Abänderung der Fastengesetze des Landes, was dieser auch genehmigte. Fortan wurde der Stollen in Sachsen wieder mit Butter bereitet! Damit war eine wichtige Voraussetzung für guten Stollen, zumindest in den wohlhabenderen Gegenden Sachsens, geschaffen. Allerdings mussten die kurfürstlichen Untertanen für dieses Vorrecht einen Obolus entrichten, der dem Freiberger Dombau zugute kam. Im Übrigen – das sei nur am Rande erwähnt – war dieses ganze Verfahren so etwas Besonderes nicht. München hatte im Jahre 1479 einen ähnlichen Antrag in Rom gestellt und daraufhin den gewünschten „Butterbrief“ erhalten, in dem der Verbrauch von Butter gestattet wurde.

Gänseschmalz & Rindertalg als Butterersatz

Zurück zum Stollen. Wie gut dieser schmeckte und wie beliebt er letztlich war, hing natürlich auch vom Geldbeutel derer ab, die die Zutaten wie Zucker, Gewürze, Rosinen und Mandeln kauften. Im Erzgebirge beispielsweise waren gute Zutaten schlichtweg zu teuer für die überwiegend mittellose Bevölkerung, und die Butter musste meist durch den billigeren Rindertalg ersetzt werden. Im Vogtland nahmen die ärmeren Leute statt Butter häufig auch Gänseschmalz für ihren Stollen. Zucker fehlte häufig ganz. Man hat von der Qualität solcher Stollen eine bessere Vorstellung, wenn man den um 1700 entstandenen Vermerk eines gewissen Pastors Thomas Winzer aus dem sächsischen Wolkenstein liest. Wenig verlockend beschrieb er den Stollen als ein „gar trockenes Stopfgebäck in Wickelkindform“ und als „Gebäck, mit ein paar einsamen Rosinen darin, freundlichen Oasen gleich“. Das klingt nun wahrlich nicht nach Festtagsgenuss, und doch war der Christstollen bei armen Familien in früheren Jahrhunderten oft eine mit großer Freude erwartete Gabe zu Weihnachten. Gebacken wurde der Stollen übrigens sowohl von den Weißbäckern als auch von den Frauen selbst, die ihn aber vielfach beim Bäcker fertigbacken ließen. Ausführliche Butterstollenrezepte mit feinen Zutaten in großzügigen Mengen sind erst nach 1700 in Leipziger und Berliner Lexika verzeichnet.

Stollen auf Reisen

Dass der Christstollen schon seit Jahrhunderten zur kulinarischen Tradition der Dresdner gehörte, ist häufig dokumentiert. Ebenso die Reiselust des Gebäcks! Die Dresdnerinnen gaben ihren in Tücher gewickelten Stollen einst sogar den Fuhrleuten oder Elbschiffern mit, um die Söhne in der Ferne zu beglücken. Später versandte man das Backwerk, eingelötet in Blechdosen, auch an Auswanderer in den USA oder Australien. Ein Gruß aus der Heimat und ein besonders feiner dazu, denn ein Stollen soll ja bekanntermaßen immer besser werden, je länger er lagert.

Die Geschichte mit dem Riesenstollen

Würdig für das Guinness-Buch der Rekorde erscheint uns heute die Kreation eines Riesenstollens, den der Dresdner Bäckermeister Johann Andreas Zacharias anlässlich einer Festivität seines Kurfürsten August des Starken im Juni 1730 buk. Er scheute dafür nun wahrlich keinen Aufwand: Man mauerte einen Backofen auf und rund 60 Bäckerknechte benötigte man zum Mandelreiben, Rosinenwaschen, Mehl sieben, wiegen und Teigkneten. Acht Pferde zogen den immerhin 36 Zentner schweren Riesenstollen aus dem Ofen und transportierten die Köstlichkeit zum königlichen Schloss. Das 160 cm lange Messer zum Anschnitt musste eigens angefertigt werden.

Was vor 290 Jahren eine Riesensensation darstellte, sollte 1994 ebenfalls eine werden, als nämlich Dresdner Bäckermeister anlässlich der 300. Wiederkehr der Thronbesteigung des sächsischen Kurfürsten August des Starken (am 27. April 1694), einen „Super-Stollen“ herstellten: 2000 kg schwer, 4 m lang, 1,65 m breit und 70 cm hoch. 20 Stunden wurde das Backwerk von 24 Bäckermeistern und Gesellen hergestellt und nach einem Umzug auf dem Striezelmarkt in 4000 Portionen verkauft. Natürlich mit einer Nachbildung des Originalmessers! Seitdem feiern die Dresdner unter Mitwirkung des „Schutzverbandes Dresdner Stollen e.V. “ alljährlich am Samstag vor dem 2. Advent das Dresdner Stollenfest mit einem Aufsehen erregenden Riesenstollen, einem Umzug und viel vorweihnachtlicher Festtagsfreude.

Stollenrezept aus

„Marie Schandri‘s Regensburger Kochbuch“
Regensburg 1867, 43. Auflage 1903

Stollen

Bedarf: 500 Gr. Mehl, 2 Löffel Hefe, 2 Eier, 3 Dotter, 210 Gr. Butter, Salz, Zucker, Weinbeeren, Rosinen, 70 Gr. Mandeln, 35 Gr. Citronat, 1 Messerspitze Muskatblüte.

Man macht von 500 Gr (1 Pfd) Mehl in der Mitte desselben mit drei Löffel guter Hefe und etwas lauwarmer Milch ein Dämpfel und läßt es gehen.

Dann schlägt man zwei ganze Eier und drei Eidotter daran, gibt 210 Gr. zerlassene Butter, Salz, etwas Zucker, Weinbeeren, Rosinen, 70 Gr. abgeschälte, feingewiegte Mandeln, 35 Gr. fein geschnittenes Citronat und eine Messerspitze fein pulverisierte Muskatblüte dazu.

Das alles wird gut verarbeitet, der Teig fein abgeschlagen, zu einer Stolle geformt, ein Blech mit Butter bestrichen, die Stolle darauf gelegt, nachdem sie etwas gegangen ist, mit Eigelb bestrichen, Zucker und abgeschälte, gewiegte Mandeln darauf gestreut und langsam eine Stunde gebacken.

Wie das gewickelte Kind in der Krippe

… so jedenfalls erschien mit etwas Fantasie der übereinander gefaltete Stollenteig und dementsprechend deutete man die Form im christlichen Glauben als Hinweis auf das Wickel-, also das Jesuskind. Die Übertragung des Wortes „Stolle“ oder „Stollen“ aus der Bergmannssprache als Begriff für einen tragenden waagrechten Gang unter der Erde ergab sich aus der Ähnlichkeit des länglichen, schweren Backwerks mit einem solchen horizontalen Grubenbau. Im christlichen Glauben wurde diese tragende Stütze wiederum mit dem Jesuskind gleichgesetzt. Allerdings sind regional auch andere Namen für das Backwerk bekannt. Im mittelhochdeutschen Wortschatz bezeichnete man beispielsweise mit „strutzel“ oder „striezel“ ein Hefegebäck in länglicher, geflochtener Form. In der Dresdner Gegend waren, was bis heute oft noch so ist, sowohl die Ausdrücke Striezel (Lausitz) als auch Stollen (Dresden) beheimatet. So spricht man zwar vom Dresdner Striezelmarkt, verbindet damit aber die Vorstellung vom Stollenverkauf. Auch der Name „Christbrot“ ist in Sachsen gebräuchlich.

Mittelalterliches Fastengebäck

Zwar ist die Herkunft des Stollens nicht zuverlässig geklärt, aber es ist zu vermuten, dass er als Fastengebäck aus den mittelalterlichen Klosterbäckereien hervorgegangen ist und ursprünglich ein einfaches Gebäck aus Mehl, Hefe und Wasser war. Mittlerweile ist der Stollen ein hochfeines Weihnachtsbackwerk geworden und gehört einfach zu einer stimmungsvollen Advents- und Weihnachtszeit dazu. Diese freudige Stimmung wusste schon Kurfürst Moritz 1542 einzufangen, der gegen die Ungarn zu Felde gezogen war und in Erwartung der baldigen Heimkehr an seine junge Frau Agnes ins Dresdner Schloss schrieb: „Ich will diesen Winter bei Dir verbleiben, wir wolln miteinander birn bratten, stolln essen und mit Gotts Hülffe ein guts Müthlein haben“.

Zusammenfassung

Vom trockenen Ahnen …
In seiner Anfangszeit dürfte sich der Stollen nicht allzu großer Wertschätzung erfreut haben. Zwar ist der Ursprung des Backwerks historisch nicht eindeutig geklärt, aber es ist anzunehmen, dass es als Fastengebäck aus den mittelalterlichen Klosterbäckereien hervorgegangen ist: Ein eher kärglicher, trockener Adventskuchen aus Mehl, Hefe und Wasser und zudem mit Öl statt mit Butter zubereitet. Die erste Datierung stammt aus Naumburg an der Saale. Hier hatte Bischof Heinrich im Jahr 1329 den Bäckern ein neues Zunftprivileg erteilt unter der Bedingung, dass ihm und seinen Nachfolgern zu Weihnachten stets zwei Stollen aus je einem halben Scheffel Weizen zu liefern seien. Das Backwerk war demnach seinerzeit schon bekannt, wenn auch Rezepte nicht überliefert sind.

… zum hochfeinen Weihnachtsgebäck
Was den Dresdner Christstollen angeht, so wurde dieser erstmals im Jahr 1474 erwähnt. Allerdings erhielten die Dresdner Bäcker erst Mitte des 17. Jahrhunderts ihr ersehntes Stollen-Monopol und durften von da an den kurfürstlichen, später den königlichen Hof beliefern. Rosinen, Butter, süße und bittere Mandeln, Orangeat, Zitronat, Mehl, Wasser und Hefe – so ist es überliefert – müssen Bestandteile des Backwerks sein. Mittlerweile darf ein Stollen nur dann als Dresdner Stollen bezeichnet werden, wenn er im Groβraum Dresden hergestellt wurde und bestimmte, qualitativ hochwertige Zutaten enthält. Aber auch auβerhalb Dresdens kennt man bis heute neben Rosinenstollen Mandel-, Nuss-, Mohn-, Marzipan-, Butter- oder Quarkstollen, die allesamt einen vorweihnachtlichen Hochgenuss darstellen.

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