Brot: Dem Phänomen auf der Spur

Mag. Jürgen Reimann, Leiter Marketing, Kommunikation und Kooperationen, PANEUM – Wunderkammer des Brotes in Asten (Oberösterreich)

Museen und Ausstellungen in aller Welt widmen sich auf unterschiedlichste Art und Weise dem Thema Brot. Ihr Ziel: einen Beitrag zum Verstehen dieses Alltags- und Kulturgutes zu leisten – von den Anfängen bis in die Gegenwart und Zukunft. Was aber hat die Bäckereibranche davon? Drei Beispiele aus Deutschland und Österreich liefern Antworten.

Volkskundliche oder kulturhistorische Objekte sowie Kunstwerke in Museen, Schaubäckereien, Tage der offenen Tür, regionale Projekte sowie das Brotfestival Kruste & Krume oder der Brotway der Bäckerei Mann in Wien – um nur zwei namentlich zu nennen – leisten einen Beitrag für das Verstehen des vielschichtigen Themas Brot. Das wollen auch jene Häuser und Initiativen, die sich dem Lebensmittel voll und ganz verschrieben haben und die sich dem „Phänomen Brot“ auf unterschiedlichste Art und Weise nähern. An dieser Stelle alle zu beschreiben, würde den Rahmen sprengen. Stellvertretend und beispielgebend für Projekte in aller Welt seien etwa das Europäische Brotmuseum im deutschen Ebergötzen, das Maison du Blé et du Pain in Echallens, Schweiz, das Muzej Chleba in St. Petersburg, das Museu do Pão in Portugal sowie das gleichnamige Museum in Brasilien genannt.

Die weltweit wohl bedeutendsten Sammlungen mit Kunst- und Kulturobjekten zur Brothistorie beherbergen heute zwei Häuser, die auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein könnten. Beide stehen in Ländern mit einer einzigartigen Brottradition und -vielfalt. Während das Museum der Brotkultur in Ulm in einem Jahrhunderte alten Gebäude untergebracht ist, das auch als Getreidespeicher diente, zeigt die jüngste Initiative, das PANEUM im oberösterreichischen Asten, Meisterwerke aus der Vergangenheit in zukunftsweisender Architektur.

Bei all dieser Verschiedenheit nach außen verbinden beide Häuser jeweils wunderbare Sammlungen im Inneren und eine gemeinsame Zielsetzung. „Den Besuchern wollen wir verdeutlichen, welchen Einfluss und welchen Stellenwert Brot in allen Epochen der Menschheitsgeschichte hatte und bis heute hat“, sagt PANEUM-Gründer Peter Augendopler. Brot ist ein Nahrungsmittel, das fast alle tagtäglich konsumieren. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung erschließt sich allerdings erst bei genauerem Hinsehen. Hier ortet der gelernte Bäcker Peter Augendopler Handlungsbedarf, „denn es gibt ein Vakuum an Wissen über Brot, das es zu füllen gilt“ – sowohl in der Fachwelt als auch bei den Konsumenten. Das war für ihn mithin ausschlaggebend, das PANEUM – Wunderkammer des Brotes zu gründen, in dem seit Oktober 2017 etwa 1.200 Objekte und tausende Bücher aus der mehr als 15.000 Objekte umfassenden Sammlung von backaldrin besichtigt werden können.

Alltags- und Kulturgut Brot

Sammeln, bewahren, forschen, ausstellen und vermitteln – diese „klassischen“ Museumsaufgaben sind auch für Brotmuseen Programm, die wissenschaftliche Aufarbeitung eine der wesentlichen Aufgaben. Dr. Isabel Greschat, Direktorin des Museums der Brotkultur in Ulm: „Wir sammeln, pflegen und präsentieren ausgewählte Kunstwerke, die Brot im weitesten Sinne auch als Inbegriff des Lebens zeigen.“ Das „essenziellste Produkt dieser Welt“, so Peter Augendopler, ist wertvolles Alltagsgut, vielmehr aber noch bedeutendes Kulturgut. Als solches ist es aufs Engste mit der Entwicklung der Menschheit verknüpft, im Brauchtum, in Glaube sowie Religionen und nicht zuletzt in unserem Sprachgebrauch sowie unseren Wertvorstellungen tief verwurzelt. „Den Mitarbeitern der Bäckereibranche wollen wir diese Zusammenhänge eröffnen und damit das Selbstbewusstsein stärken, dass wir es bei unserem täglich Brot mit einem unglaublich spannenden Lebensmittel zu tun haben“, betont Dr. Isabel Greschat.

„Häuser wie das PANEUM und das Museum der Brotkultur helfen, dem Verbraucher Wissen rund um unser Grundnahrungsmittel Brot und dessen unglaubliche Geschichte auf anschauliche Weise zu vermitteln und ein Qualitätsbewusstsein dafür zu entwickeln“, sagt der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks Michael Wippler. Für ihn sind sie auch „Ausdruck des immer noch gelebten Bäckerstolzes. Sie machen sichtbar, woher die Branche kommt.“ Dem Thema „Bäckerstolz und Zunft“ ist etwa im PANEUM ein eigener Ausstellungsbereich gewidmet. Eine Reise in längst vergangene Zeiten macht deutlich, dass das Verständnis für die Gegenwart ohne diesen Blick zurück gar nicht und – wenn überhaupt – nur unzureichend möglich ist. Vor diesem Hintergrund setzen diese Ausstellungen dem „schönsten Beruf der Welt“, so Peter Augendopler, auch ein Denkmal. Sie schaffen Raum für Identifikation und den Diskurs über Generationen hinweg.

Lebendige Foren

„Wichtig ist, dass wir den Blick auch in die Gegenwart sowie die Zukunft richten“, betont Dr. Isabel Greschat. Wolf D. Prix, der international renommierte Architekt des PANEUM, hat für die Form der Wunderkammer des Brotes mit seinem Innenraum aus Holz das Bild vom Wolkenschiff – einer Arche Noah – ins Spiel gebracht. Damit sollen wertvolle Objekte sowie Geschichten und das Wissen aus der Vergangenheit gleichsam in eine andere Welt gerettet werden. So versteht Peter Augendopler das PANEUM als Ort, an dem aus dem Gestern kommend über Brot und seine Zukunft gesprochen, geforscht und nachgedacht werden kann. Sowohl Brotproduzenten als auch -konsumenten sind in ihren Entscheidungen heute mit einem Bündel an Erwartungen, Werthaltungen und Spannungsfeldern konfrontiert: Globalisierung und Regionalität, Wegwerfgesellschaft und hungernde Menschen, Überfluss und Mangel, Übergewicht und Unterernährung, Veganismus und Fleischkonsum, Klimawandel und die steigende Weltbevölkerung. „Für diese Themen möchten wir ebenfalls sensibilisieren und interessieren“, sagt Dr. Isabel Greschat. Fachwelt und Verbraucher sind eingeladen, diese vor dem Hintergrund der Jahrtausende alten Geschichte des Brotes zu diskutieren. Vor allem Jugendliche sollen angesprochen werden, um ihnen die Erfahrungswelt früherer Generationen zu erschließen und aktuelle Entwicklungen einordnen und besser verstehen zu können. Natürlich sind auch die Veränderungen in der Branche selbst Gegenstand dieses Diskurses – von den Anfängen über die Industrialisierung bis zu Werteverschiebungen, die wir dieser Tage beobachten können. Dieser Wandel in der Bäckereiwelt wird wie Dr. Isabel Greschat betont, auch Brotmuseen „als Bildungs- sowie Erlebnisorte und lebendige Diskussionsforen“ begleiten.

Interesse neu entfachen

Frischen Wind für diese Aufgaben erhofft sich die Direktorin auch vom Umbau des Museums der Brotkultur, der im September 2018 beginnt. Er soll das Interesse an dem Haus neu entfachen. „Wichtig ist uns eine zeitgemäße Präsentation, und das beinhaltet auch die Technik sowie interaktive Stationen. So können die Besucher aktiv sein und selber Entscheidungen treffen“, erklärt Dr. Isabel Greschat. Ende Mai 2019 sollen die neuen Räumlichkeiten für die mehr als 18.000 Objekte umfassende Sammlung fertiggestellt sein. „Wir wollen neue Besucher ansprechen und erwarten uns großen Zuspruch bestehender Zielgruppen, insbesondere auch aus der Bäckereifachwelt“, betont sie.

Neue Menschlichkeit

Vom großen Zuspruch der Besucher ist man im PANEUM angetan. „Die kontrastreiche Kombination aus Geschichten rund ums Brot sowie wegweisender Architektur kommt sehr gut an“, zieht Peter Augendopler Bilanz. Mehr als 20.000 Besucher zog die Wunderkammer des Brotes bislang an. Rückenwind erhalten PANEUM, Museum der Brotkultur & Co. auch von einem Trend, der mit der Digitalisierung vieler Lebensbereiche einhergeht und – so meinen Experten – Tür und Tor für neue Erlebnisse öffnet. Fachleute wie Thomas Egger, Geschäftsführer des Linzer Beratungsunternehmens Egger & Partner, bezeichnen diesen Gegentrend zur Digitalisierung als „neue Menschlichkeit“: „Hightech ergibt auf der anderen Seite Hightouch. Je mehr die Technisierung voranschreitet, desto größer die Sehnsucht nach realen, authentischen und emotionsaktivierenden Begegnungen und Erlebnisräumen. Das kann über Qualitäten, wie sie Markenwelten oder auch Museen bieten, sehr gut transportiert werden.“ Für Thomas Egger ist perfektes Storytelling der Schlüssel zum Erfolg: „Damit erhalten Produkte durch besondere, authentische und emotionale Geschichten die richtige Würze.“

Appetit machen

Auf dieses Konzept setzt die Haubis GmbH bereits seit vielen Jahren, lange bevor das Wort Digitalisierung in aller Munde war. Das Familienunternehmen hat am niederösterreichischen Firmensitz in Petzenkirchen mit dem Haubiversum ein Vorzeigeprojekt geschaffen. Schon 1998 hat man den Hunger der Verbraucher auf „Authentizität“ und einen Blick in die Produktion erkannt, die Pforten geöffnet, die Rundgänge professionalisiert und vor etwa zehn Jahren eine eigene Broterlebniswelt errichtet. Im Haubiversum wird nicht die Geschichte des Brotes, sondern die Produktion und das Handwerk in die Auslage gestellt – am Puls der Zeit, abseits jeder Nostalgie. „Bei uns können die Kunden und Konsumenten erleben, wie Haubis tickt“, erklärt Geschäftsführer Anton Haubenberger. Die Marke, Transparenz und die Wertigkeit von Lebensmitteln im Allgemeinen und Brot im Speziellen stehen im Mittelpunkt. Anton Haubenberger erläutert: „Jeder formt bei uns sein Mohnflesserl, das während des Rundgangs gebacken wird. Im Idealfall erinnern sich die Besucher beim Einkauf an die Handarbeit, die in dem Kleingebäck steckt.“ Die Idee kommt gut an. Etwa 50.000 Besucher im Jahr machen das Haubiversum auch zu einem touristischen Top-Ziel in Niederösterreich. Der erlebnisreiche Rundgang wird mit gastronomischen Angeboten, Back-Shop und einem abwechslungsreichen Programm für alle Zielgruppen ergänzt, angefangen bei den Jüngsten.

Anton Haubenberger, dessen Unternehmen derzeit etwa 50 Bäcker- und Konditorlehrlinge ausbildet, sieht das Haubiversum auch als Möglichkeit, auf den Beruf Appetit zu machen: „Dabei kommt uns bestimmt zugute, dass wir aufgrund unserer Produktionsweise die Nachtarbeit auf den Tag verlagern können.“ Die Faktoren, die für die Nachwuchsprobleme verantwortlich sind, könne man zwar nicht beeinflussen, geben Dr. Isabel Greschat und Peter Augendopler zu bedenken, aber: „Wenn wir es schaffen, das Bewusstsein für Brot auch bei jungen Menschen zu erweitern, dann hilft das der Branche in jeder Hinsicht, auch in der Nachwuchsarbeit“, sagt die Direktorin des Museums der Brotkultur. Ein Ansatz ist hier, noch stärker als bisher Schulen anzusprechen und einen Besuch dieser Häuser in die Fachausbildung zu integrieren. Michael Wippler schließt: „Für die Branche bedeuten diese Institutionen die Chance, die Begeisterung für unser Handwerk zu stärken – sowohl auf Verbraucherseite als auch bei potenziellen Lehrlingen.“

Brot aufwerten

„Unser Beitrag ist auf jeden Fall, dass wir das Thema Brot ganz stark aufwerten“, ist Dr. Isabel Greschat überzeugt. „Mit unserer Arbeit tragen wir dazu bei, die Gesellschaft, in der wir leben, besser zu verstehen. Woher wir kommen und wohin wir gehen hat letztlich mit Brot und der Getreidekultur zu tun.“ Um Brot und seine Geschichte erleb-, spür- und verstehbar zu machen, greift das PANEUM auf eine Idee aus dem Italien des 16. Jahrhunderts zurück: die Wunderkammer. Sie hat sich einem Gefühl verschrieben, das so tief geht, dass es sich in Herz und Hirn einbrennt: dem Staunen. Auf dem Weg zum Verstehen ist das Staunen schon die halbe Miete. „Wenn die Leute ein bisschen über Brot nachdenken, haben wir alles erreicht, was wir wollten”, resümiert Peter Augendopler.

Zusammenfassung

Initiativen in aller Welt widmen sich auf unterschiedlichste Art und Weise dem Phänomen Brot. Sie leisten zum Verstehen des Lebensmittels einen Beitrag, in der Bäckereibranche ebenso wie bei den Konsumenten. Denn Brot ist Alltagsgut und bedeutendes Kulturgut zugleich. Das Museum der Brotkultur oder das PANEUM – Wunderkammer des Brotes beispielsweise zählen das Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln zu ihren Kernaufgaben. Aus dem Gestern kommend spannen sie den Bogen in die Gegenwart und Zukunft. Als lebendige Foren laden diese Häuser ein, über Themen und Spannungsfelder des 21. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Jahrtausende alten Geschichte des Brotes zu diskutieren. Das Haubiversum wiederum stellt Produktion und Handwerk in den Mittelpunkt – transparent und am Puls der Zeit. Allen Initiativen haben gemein, dass sie das Thema Brot aufwerten, dem Nachwuchs den Bäckerberuf schmackhaft machen und im Zeitalter der Digitalisierung authentische sowie emotionale Erlebnisse rund ums Brot bieten wollen.

Adressen
Museum der Brotkultur
Salzstadelgasse 10, 89073 Ulm
www.museum-brotkultur.de

PANEUM – Wunderkammer des Brotes
Kornspitzstraße 1, A-4481 Asten
www.paneum.at

Haubiversum
Kaiserstraße 8, A-3252 Petzenkirchen
www.haubiversum.at

Weitere Museen rund ums Brot: eine Auswahl
Europäisches Brotmuseum (Ebergötzen, Deutschland), Maison du Blé et du Pain (Echallens, Schweiz), Museio Artoy (Amfiklia, Griechenland), Muzej Chleba (Moskau, Russland), Muzej Chleba (St. Petersburg, Russland), Museu do Pão (Seia, Portugal), Museu do Pão (Ilópolis, Brasilien)

 

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