Hans-Herbert Dörfner, Weinstadt; Prof. Dr. Bärbel Kniel, Esslingen
Was ist eigentlich eine Tortilla? Viele verstehen darunter das typische spanische Eieromelette. Nicht so in Mexiko, wo die Tortilla ihren Ursprung hat. Dort ist sie ein traditionelles Fladenbrot aus Mais. Durch ihre vielfältige Verwendung ist sie bis heute eine wichtige Grundlage für die Ernährung der Mexikaner, auch als „Snack to go“. Und was wenige wissen: Ein Zusatzstoff sorgt auch für die ausreichende Bioverfügbarkeit des Vitamins Niacin in Mais.
Während eines Einsatzes für den Senior Experten Service im mexikanischen Hochland hatte der Autor Hans-Herbert Dörfner die
Gelegenheit, in einer kleineren Ortschaft eine Tortillería zu besuchen, in der diese Spezialität auf traditionelle und handwerkliche Weise
hergestellt und verkauft wird. Im Folgenden wird der interessante Herstellungsprozess im Detail beschrieben.
Der Hauptrohstoff für die Tortilla-Herstellung ist der Hartmais (Zea mays), der von Landwirten aus der näheren Umgebung bezogen wird. Der Mais wird zunächst von erntebedingten Verunreinigungen wie Steinen, Unkrautsamen und Pflanzenteilen gereinigt. Dazu werden vorwiegend Siebe und Steinausleser verwendet. Der gereinigte Mais (Abb. 1) muss für die weitere Verarbeitung von den dicken, zähen und ungenießbaren äußeren Schichten befreit werden. Dafür werden in Ländern wie Mexiko, in denen der Mais ein tägliches Grundnahrungsmittel ist, seit Jahrtausenden die Körner viele Stunden mit alkalischen Stoffen wie Kalk oder Holzasche gekocht, von den Außenschichten befreit und nass zu einem Teig vermahlen, der dann zu dem Endprodukt weiterverarbeitet wird. Dieser Kochprozess wird Nixtamalisation genannt. Dadurch wird zudem das im Maiskorn enthaltene Vitamin Niacin in eine bioverfügbare Form überführt, auch verbessern sich Geschmack und die Verarbeitungseigenschaften. Nicht zuletzt werden gegebenenfalls vorhandene toxische Aflatoxine abgebaut (1).
Bei der Tortilla-Herstellung wird für diesen Kochprozess meistens der Zusatzstoff Calciumhydroxid E 526 (gebrannter Kalk) als alkalischer Stoffe verwendet (Abb. 2). Calciumhydroxid wird in Verbindung mit Wasser zu einer Lauge. Das Lebensmittelgesetz schreibt auch in Mexiko die Anforderungen an die Reinheit des Zusatzstoffes vor. Und Anwendungshinweise auf der Verpackung geben zusätzliche Sicherheit. In einem Mischer wird der Mais in dieser erwärmten Lauge mehrere Stunden, meist über Nacht, eingeweicht und mechanisch bearbeitet (Abb. 3). Nach der alkalischen Behandlung hat sich die Farbe der Maiskörner verändert und die feste und zähe äußere Hülle ist poröser geworden. Dadurch wird ihr Abtrennen im nachfolgenden Mahlprozess erleichtert. Danach wird der Mais vor der Vermahlung und Teigbereitung durch Spülen mit Wasser von den Resten der Laugenbehandlung befreit. Das Abtrennen der Außenschicht, das Mahlen und die Teigbereitung erfolgen in einem Arbeitsgang (Abb. 4).
Der Teig aus Mais, Wasser und etwas Salz wird ohne Teigruhezeit in den Vorratsbehälter gefüllt. Der zuständige Mitarbeiter justiert die Teigdosierung und kontrolliert die Temperatur der Ofenplatten (Abb. 5). Dann beginnt der Backprozess. Der Teig wird portioniert, geformt und das Förderband transportiert die Fladen auf sehr heiße Platten (Abb. 6). Die Durchlaufzeit beträgt ca. 20 Sekunden bei über 200 °C. Danach durchlaufen die „vorgebackenen“ Tortillas einen gasbeheizten Tunnelofen mit einer Temperatur von ca. 220 °C. Die „Blasenbildung“ und die teilweise Bräunung der Gebäckoberf läche sind gewollt und ein Qualitätsmerkmal (Abb. 7). Der gesamte Backprozess dauert lediglich ganze 2 Minuten. Danach werden die Tortillas abgekühlt und für die Weiterverwendung gestapelt (Abb. 8).
An der Verkaufsstelle stehen die Kunden Schlange (Abb. 9). In mexikanischen Haushalten werden Tortillas in größerer Stückzahl
bevorratet. Bis zu 5 Tage lassen sich die Fladen im Kühlschrank lagern. Größere Vorräte wandern in den Gefrierschrank.
Die Verwendung der Tortillas ist nahezu grenzenlos: Füllungen oder Auf lagen mit Fisch, Fleisch, Gemüse, Käse, Mayonnaise, alles vorwiegend scharf gewürzt, sind die Favoriten (Abb. 10 und 11). In eingerollter Form ähneln sie den hier bekannten Wraps.
Mais in Europa
Bei der Einführung des Mais in Europa durch die Spanier im 16. Jahrhundert wurde die Nixtamalisation nicht angewendet, sodass aufgrund des damit verbundenen Niacinmangels die Krankheit Pellagra weit verbreitet war, die sich durch Haut- und Schleimhautschäden bemerkbar machte (2). Der Zusammenhang zwischen Mais und der Erkrankung wurde in Europa lange nicht erkannt. Dagegen waren sich die sehr alten Kulturen der Azteken und Maya über den vorteilhaften Effekt der Nixtamalisation bewusst (1).
Konservierung von Tortillas: jetzt auf EU-Ebene rechtlich geklärt
Tortillas in Fertigpackungen müssen wegen ihres hohen Feuchtigkeitsgehaltes und der damit verbundenen Gefahr der Schimmelbildung mit Konservierungsstoffen haltbar gemacht werden,
wenn sie bei Raumtemperatur über längere Zeit gelagert werden. Für diesen Fall gab es bis vor Kurzem keine eindeutige Zulassung in der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (3). Seit 2016 ist nun ist die rechtliche Situation auf EU-Ebene geklärt. Propionsäure und Propionate (E 280 – E 283) dürfen bei der Herstellung von abgepackten Tortillas bis zu maximal 2.000 mg/kg verwendet werden.
Literatur:
(1) Wikipedia: Nixtamalization. https://en.wikipedia.org/wiki/Nixtamalization Abruf vom 13.03.2017
(2) Wikipedia: Mais. https://de.wikipedia.org/wiki/Mais Abruf vom 13.03.2017
(3) Kunz, F: Baguette – Ciabatta – Tortilla: ein Hauch von Urlaubsfeeling im Brotkorb. backwaren aktuell Ausgabe 2/2015