Auf historischer Spurensuche – Obst- und Streuselkuchen
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Irene Krauß, Volkskundlerin, ehem. Leiterin des Museums Brot und Kunst – Forum Welternährung, freiberufliche Publizistin und Autorin zahlreicher Werke zur Entstehung und Entwicklung von Backwaren und zur Nahrungsvolkskunde
Unkomplizierter kann man Obst kaum verarbeiten: frische oder eingemachte Früchte, mit denen sich vielfältige Kuchenideen umsetzen lassen. Als i-Tüpfelchen auf der beerenstarken Grundlage können knusprige Butterstreusel dienen. Was den Streuselkuchen selbst angeht, so war dieser früher vor allem in Sachsen und Schlesien bekannt. Heute findet man Streuselkuchen-Rezepte in so ziemlich jedem Backbuch.
Jetzt wird es fruchtig: Obstkuchen
Süße Kuchenteige mit Auflagen aus verschiedenen Früchten zu kombinieren, lag in der Backkunst nahe. Demzufolge ist es nicht sonderlich schwierig, auch in jahrhundertealten Kochbüchern eine große Anzahl entsprechender Rezepte zu finden. Schließlich galt eine Torte früher als Sammelbegriff für ein feines Gebäck mit Obstbelag, also als „ein Gebackens […] mit einer besonderen Fülle von allerley rohen oder eingemachten Früchten“. Bereits zwischen dem 14. und dem 16. Jahrhundert hören wir auf den hochherrschaftlichen Tafeln von feinen Birnen- und Erdbeerkuchen. Und Ende des 17. Jahrhunderts führten Wörterbücher „eyerkuchen, äpfelkuchen, kirschkuchen, weinbeerkuchen oder allerlei obstkuchen“ auf. Im 18. Jahrhundert dann tauchen besonders häufig helle Mandelteige aus feinstem Weißmehl mit vielen Eiern für Obstkuchen und Kleingebäcke auf. Bereits im bekannten Frauenzimmer-Lexikon aus dem Jahr 1715 dominieren Kuchenrezepte auf der Grundlage eines „guten Butter=Teigs“ mit einer „Fülle von allerhand rohen oder eingemachten Früchten“. Kein Wunder, denn vielfach wurde Obstanbau zur Selbstversorgung betrieben, sodass ein wichtiger Bestandteil des Kuchens ohne Weiteres zur Verfügung stand. Zusätzliche Süße durch Zucker dagegen kam für die weniger Betuchten, und das war die gewaltige Mehrheit, nicht infrage. Die in früheren Jahrhunderten bekannte Kolonialware Rohrzucker war unerschwinglich teuer. Erst im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts war die begehrte Süße reichlicher und etwas billiger in die Küchen des europäischen Adels und später des gehobenen Bürgertums gelangt. Und im 19. Jahrhundert stand durch das Aufkommen des heimischen Rübenzuckers die Zuckersüße beinahe jeder Kuchenbäckerin zur Verfügung. Und dennoch war kaum je verschwenderische Überfülle gemeint, wenn früher von „feinem Backwerk“ oder gar von „Torten“ die Rede war. Im Elsass wie im schwäbischen Raum verstand man noch Ende des 19. Jahrhunderts unter einer Torte einen einfachen „kuchen mit auflagen, besonders von obst“.
Bodenständiges
Beginnen wir mit dem Teigboden für die Obstauflage: Dieser bestand, sieht man von den einfachen Blechkuchen aus Hefeteig ab, in der Regel aus einem Mürbe- oder einem Blätterteig. Häufiger umschrieb man die runde Teigunterlage in alten Rezepten jedoch nur unbestimmt mit den Worten „mache den Boden“, „nimm einen Torten-Boden“ oder „man formirt eine Torte, von welchem Teige man will“. Die jeweilige Zusammensetzung des Gewünschten wurde offenbar als bekannt vorausgesetzt und der Hausfrau überlassen. Gelegentlich nahm man als zusätzliche Teigunterlage eine große Oblate, die das Aufweichen des Teiges und das Absacken des Obstes verhindern sollte.
Aus dem Vollem schöpfen
Das Kernstück eines jeden Obstkuchenrezeptes ist natürlich die Auflage aus frischen oder eingemachten Früchten. Was gab es nun aber in den vergangenen Jahrhunderten an Obst? Eigentlich das meiste, denn in weiten Teilen des Orients hatte sich – begünstigt durch das milde Klima – die Obstkultur bereits sehr früh ausgebreitet. Im antiken Griechenland wurde ebenfalls Obstanbau betrieben, und die Römer, die die feinen Obstsorten aus dem Orient übernommen hatten, kannten schon Birnen und Äpfel, Pfirsiche, Pflaumen, Kirschen, Himbeeren oder Aprikosen. In den Klöstern wurde der Obstanbau weiter kultiviert, aber auch Karl der Große (747–814) ließ von seinen Verwaltern viele Arten von Obst ziehen.
Je besser die Möglichkeiten und Erfahrungen im Bereich des Kuchenbackens wurden, desto mehr erweiterte sich die Anzahl der zusammengesetzten Kuchenbezeichnungen, vor allem natürlich der Obstkuchen.
Rezepte, Rezepte
Nehmen wir als vielleicht populärstes Beispiel den Apfel, als dessen Heimat das westliche Asien anzusehen ist. Der Apfel war nicht nur als Küchen- und Tafelobst von Bedeutung, sondern stand auch als Rohmaterial in der Bäckerei und Konditorei mit an erster Stelle. Ein Rezept dazu: Bei dem berühmten französischen Berufskoch Taillevent (um 1312 bis 1395), dem Chefkoch an drei französischen Königshöfen des Mittelalters, lesen wir von einem pikant gewürzten Apfelkuchen aus ungesüßtem Mürbeteig, der völlig aus der Reihe der heute üblichen Obstkuchenrezepte fällt. Eine ganz andere Kuchenwelt war das, in der die Füllung aus in süßem Wein gedünsteten Äpfeln bestand sowie aus verschiedenen Gewürzen, namentlich Zimt, Anis, Ingwer und Safran. Dazu kamen Feigen und Rosinen sowie in Butter oder Öl geröstete Zwiebeln. Alles in allem also ein Apfelkuchen, der noch der mittelalterlichen Tradition verhaftet war und herzhaften Charakter hatte. Den Wein und die Trockenfrüchte setzte man damals zum Süßen der Äpfel ein, um teuren Zucker zu sparen.
Ein zweites Beispiel: Im Kochbuch der herrschaftlichen barocken Tafel aus dem Jahre 1719, geschrieben vom hochfürstlich salzburgischen Hof-, Stadt- und Landschaftskoch Conrad Hagger, ist über einen gedeckten Apfelkuchen aus Mürbeteig mit einer Auflage aus Äpfeln, Weißwein, Mandeln, Zitrone, Butter, Zucker und Zimt nachzulesen.Das entsprach einer ganzen Anzahl von Rezepten des 18. und 19. Jahrhunderts, die vorsahen, geschälte Äpfel, Quitten oder Beerenfrüchte zunächst in Schmalz zu rösten oder in Wein zu dünsten, um sie dann, vermischt mit etwas Zucker, Zimt, Rosinen oder Mandeln, auf dem Kuchenboden zu verteilen. Das Frauenzimmer-Lexikon empfahl für den Belag einer Apfeltorte aus Mürbeteig sogar, geschälte Äpfel auf einem Reibeisen zu zerreiben und dazu „kleine und große Rosinen, Citronenschalen und Zimmet“ unterzuheben. Wieder andere Rezepte brachten noch mehr aromatische Gewürzwelt in die heimischen Küchen: Pinienkerne und Pistazien oder geriebene Pomeranzenschale, also die dicke Hülle spanischer Bitterorangen. Über den Obstbelag wurde häufig nochmals wenig Zucker und Zimt gestreut oder eine garnierte Teigdecke draufgelegt. „Gedeckte“ Obstkuchen sind durchaus auch heute noch beliebt.
Vor allem Südfrüchte waren in aristokratischen Kreisen en vogue. Die vielen Rezepte mit Zitronen, Limonen, Pomeranzen und Ananas, die in Form von Gelees oder Tortenbelägen in den alten Kochbüchern lockten, spiegeln das wider, was aus München während der Regierungszeit von Maximilian II. Emanuel (1662–1726) berichtet wurde. Damals seien für die kurfürstliche Küche angeblich „mehr Pommeranzen und Limonen als […] gemeine Äpfel“ benötigt worden. In jener Zeit also schien der heimische Apfel nicht mehr im Trend gelegen zu haben, man sehnte sich nach Neuem und Exklusivem. Von Interesse war auch die dem Apfel ähnliche Quitte! Als Konfitüre zur Füllung von Torten und als Obst oder Kompott zum Belegen von Kuchen wurden die im rohen Zustand sehr harten und sauren Quitten vor allem seit dem 16. Jahrhundert besonders gerne verwendet.
Nach dieser Note des Besonderen sei zum Schluss noch ein eher alltägliches Beispiel angeführt. Dabei geht es um den einfachen Blechkuchen aus Hefeteig, zu dem natürlich auch der Apfel(mus)kuchen gehört. Dieser zählte zu Beginn des 19. Jahrhunderts besonders in Ost- und Westpreußen zu den wichtigsten Festtagskuchen und war bei häuslichen Besuchsmahlzeiten der Kuchen der Wahl, für den man sich durchaus Mühe gab. Aus dieser typischen Eigenschaft als „Besuchskuchen“ ergab sich eine stehende Wendung, gewissermaßen eine Wechselrede: „Machen Sie sich aber keine Umstände. Ach was, Umstände sind Apfelkuchen!“
Heute gehören Apfelkuchen zu den Klassikern, die man in großer Rezeptauswahl als Blechkuchen aus Hefe- oder Rührteig kennt oder der in einer Springform aus Mürbe- oder Rührteig hergestellt werden kann.
„Stets ein Streifel Streuselkuchen“
Schlesierland, Schlesierland, […]
Schle’sche Burgen, schlesich Leinen, –
Doch das Schönst’ ist, will mir scheinen,
Stets ein Streifel Streuselkuchen.
Uns interessiert an dieser alten und etwas holprig formulierten „Lobpreisung“ vor allem, dass der Streuselkuchen unmittelbar mit der ehemaligen preußischen Provinz Schlesien verknüpft zu sein scheint. Tatsächlich betonte ein Umfrageergebnis über deutsche Landesspezialitäten aus dem Jahre 1901 die enge Verbindung zwischen Schlesien und dem – wie es hieß – „Streuselkuchen in unübertrefflicher Güte“. Mit anderen Worten: Streuselkuchen war in Schlesien, das heute zum größten Teil in Polen liegt, der Kuchen schlechthin.
Schlesischer Kuchenklassiker
Diese Vorrangstellung deckt sich mit zahlreichen literarischen Quellen. Den volkstümlichen schlesischen Schriftsteller Karl von Holtei (1798–1888) beispielsweise schien es besonders gepackt zu haben, denn er kam in seinen Briefen immer wieder auf den Streuselkuchen zu sprechen: „ein großes, großes Kuchenbrett, auf dem sich, […] schichtenartig die Meisterwerke häuslicher Backfertigkeit übereinander thürmen. Quargkuchen auf Zuckerkuchen […], Obstkuchen auf Streuselkuchen, – Streuselkuchen!“, so lautete sein kulinarischer Bericht über ein Kirchenfest Ende der 1830er-Jahre in der Grafschaft Glatz (Niederschlesien). Abschließend schrieb er merklich gerührt: „Welches schlesische Gemüth würde nicht aufs Innigste ergriffen, denkt es an Streuselkuchen, an dies Wahrzeichen unseres Vaterlandes.“
Wie weitverbreitet der Streuselkuchen im Schlesien des 19. Jahrhunderts schon war, lässt sich an einer beliebigen Zahl von Einzelbeispielen darstellen. So wurde bereits im Jahre 1819 für die Kirmesbelustigungen der Streuselkuchen neben Mohn-, Apfel- und Pflaumenkuchen angeführt. Und über die Kirchweih im schlesischen Johannesberg (heute Javornik, Polen) berichtete der Dichter Joseph Freiherr von Eichendorff (1788–1857) seiner Tochter Therese im August 1857: „Heute ist das Kirchweihfest der Schloßkapelle, es gab daher einen groszen Sträuszelkuchen zum Frühstück.“
Überhaupt häufen sich die Belege zu vielen Festivitäten im Jahresverlauf. Ob als trockener Streuselkuchen, als Quark mit Streusel, als Mohn mit Streusel oder als Apfel mit Streusel – überall in Schlesien wurde das Backwerk vorgesetzt, beispielsweise während der arbeitsreichen Erntezeit. Denn was zum Erntedankfest schmeckte, das mochte man sich im Ermland (historische Landschaft Ostpreußen, heute Polen) vor gut 120 Jahren auch bei bestimmten herausgehobenen Arbeitstagen, vor allem während der Ernte, nicht entgehen lassen: „Zu Vesper wurden große Stücke Blechkuchen, damals noch mit vielen Mandeln und dickem Streusel, und riesige Kannen mit Kaffee aufs Feld gebracht.“ Auch bei Hochzeiten – und mochten sie noch so bescheiden ausgerichtet sein – gehörte der Streuselkuchen dazu. Um 1900 brachten die eingeladenen Familien bei großen Dorfhochzeiten in Ost- und Westpreußen den Streuselkuchen vielfach selber ins Hochzeitshaus mit. Erst später kamen in diesen Regionen andere Kuchensorten zur Hochzeit auf. Hinsichtlich der zeitlichen Einführung berichtete eine Gewährsperson aus Ostpreußen von „Kaffee mit Bergen von Fladen, Streusel- und Quarkkuchen, in späterer Zeit natürlich auch schon Napfkuchen oder gar Torten“. Nicht anders war es beim sogenannten Taufschmaus. Den Gästen wurde „ein besonders guter Kaffee mit berghoch aufgeschichtetem Kindelkuchen“ mit einer Streuselauflage, die „recht fett und saftig“ war, vorgesetzt.
All dies sind Beispiele, die letztlich auf die Feststellung reduzierbar sind, dass nämlich der Streuselkuchen im 19. Jahrhundert und später sowohl in Schlesien als auch in den angrenzenden preußischen Provinzen zu den bekanntesten hausgebackenen Kuchen gehörte. Von dort aus verbreitete sich der Streuselkuchen weiter. Letzteres wird von dem aus Schlesien stammenden Konditormeister Fritz Hahn (1908–1977) unter anderem mit den Wanderbewegungen der Schlesier in andere Regionen erklärt. Ob bei Wallfahrten oder bei anderen Anlässen: Der Streuselkuchen war immer dabei.
Alte Leute im Rheinland kennen den Streuselkuchen noch recht gut als „Beerdigungskuchen“. Zum Teil ist er das dort bis heute noch. In Ost- und Westpreußen war und ist das nicht anders.
Davon abgesehen ist der Streuselkuchen heute einer der gängigsten häuslichen Kaffeekuchen überhaupt, der als Rezept in praktisch keinem Kochbuch fehlt. Ein rein schlesisches Thema ist der Streuselkuchen also schon lange nicht mehr!
Über Namen, Herkunft und Alter
Für den Streuselkuchen typisch sind, wie der Name schon sagt, die über den Hefeteig verteilten Streusel. Das sind – so heißt es im „Wörterbuch der obersächsischen und erzgebirgischen Mundarten“ von 1911 recht banal – „klümpchen aus (geröstetem) mehl, butter und zucker, die auf den kuchen gestreut werden“.
So weit, so gut! Wenn auch solche neuzeitlichen „Definitionen“ des Streuselkuchens ganz klar erscheinen, so sind weitaus frühere historische Erwähnungen eher verwirrend. Blicken wir zurück: Sofern den Übersetzern kein Irrtum unterlaufen ist, tauchten Kuchen mit einer Streuselauflage bereits im vorchristlichen Rom auf. Jedenfalls soll der römische Staatsmann Cato d. Ä. (234–149 v. Chr.) an Kuchenarten „Spritz-, Streusel- und Topfkuchen“ aufgezählt haben. Das beweist allerdings noch gar nichts, denn über die genaue Zusammensetzung des römischen „Streuselkuchens“ ist nichts bekannt. Allerdings kann man ausschließen, dass dieser Streuselkuchen derjenige war, den wir heute kennen. Denn, um es ein wenig leger auszudrücken, auf einen Kuchen kann vieles gestreut werden, ohne dass es sich um unsere Zuckerstreusel handeln muss. Einmal davon abgesehen, dass der Zucker damals noch weit davon entfernt war, auf dem Küchenzettel zu stehen.
Viele Jahrhunderte später, 1584, findet sich auf einem Flugblatt, welches von Kaspar Füger d. Älteren (1521-1592), dem sächsischen Hofprediger der Herzogin Katharina von Mecklenburg (1487-1561), herausgegeben wurde, ein weiterer Hinweis. Da berichteten zwei Bauern aus Meißen über ihre Festtagsfreuden: „Auff Weihenachten schlachten wir die gemasteten Schwein, […] essen die grossen und andere Würst sampt den Christwecken oder Streusselen.“
Immerhin müssen diese „Streusselen“ eine geschmackliche Besonderheit gewesen sein, wenn sie am höchsten Feiertag gegessen und dabei den Christwecken gleichgestellt wurden. Allerdings reichen die Angaben nicht aus, um auf eine Streuselmasse in unserem heutigen Sinne zu schließen. Also begeben wir uns weiter auf Spurensuche. Bei Aufzählungen der bekannten Kuchenarten findet sich in den Kochbüchern des frühen 18. Jahrhunderts die Bezeichnung „gegossene oder gestreute Kuchen“, wobei man hier einwenden mag, dass ein Teig vor dem Backen vielfach mit Zucker und Zimt oder mit Mandeln und Zucker bestreut wurde. So manchen Kuchen hat man auch mit heißer Butter beträufelt, womit er etwa unserem heutigen Butterkuchen entsprochen haben dürfte.
Konkreter wurde die Rezeptsituation erst Ende des 18. Jahrhunderts. 1795 stoßen wir auf handschriftliche Aufzeichnungen von Friedérique C. Fontane über die Kuchengenüsse „zu Zeiten der preußischen Königin Luise“. Da ist vieles aufgelistet, was wir heute noch kennen und schätzen: Makronen und Baisers, Windbeutel, Zimtwaffeln und schaumgefüllte Hohlhippen. Auch am Rezept eines „Spanischen Streußelkuchens“, der damals in Preußen und seiner Hauptstadt Berlin auf den Tisch kam, gibt es nichts zu rütteln. Ein feiner Hefeteig, der, „wenn er halb gahr ist“, eine Auflage aus Streuseln erhielt: „Zum Streußel wird Mehl mit Butter und Zucker zusammen gerührt.“ Als südländisch beziehungsweise spanisch mag der Kuchen auf Grund der dem Teig beigefügten Zutaten, wie Zitronenschale, Zimt und Muskatblüten, gegolten haben.
Dies wird kaum das erste Streuselkuchenrezept gewesen sein. Aber es zeigt uns, dass der Streuselkuchen bereits im Verlauf des 18. Jahrhunderts in Preußen „hoffähig“ geworden war und in wohlhabenden städtischen Kreisen gegessen wurde.
Im 19. Jahrhundert dann fehlte es weder an den bereits angeführten literarischen Belegen noch an Rezepten. Aus der Fülle vermochte der Konditormeister Fritz Hahn sogar einen Vergleich über die unterschiedliche Qualität der Streusel anzustellen: Berechnet auf 1 Kilogramm Mehl schwankte die beigefügte Zuckermenge zwischen 108 Gramm und 2 Kilogramm; die Buttermenge zwischen 200 Gramm und 2 Kilogramm. Die Streusel wurden als „größere Bröckchen“, „als erbsengroße Brocken“, als „Krümel“ und sogar als „auf dem Reibeisen gerieben“ oder „durch ein Drahtsieb gedrückt“ beschrieben.
Wer sich noch weiter in der Kochbuchliteratur umschaut, dem werden auch „abgemagerte“ Streuselkuchen aus den Mangel- und Kriegsjahren des 20. Jahrhunderts begegnen. Der Not angepasst, hat man die Streuselmasse in Schlesien – woanders vermutlich auch – mit Kartoffeln gestreckt, wie aus der nachfolgenden Aufzählung zu ersehen ist: 250 Gramm fein geriebene Kartoffeln, 250 Gramm Mehl, 200 Gramm Zucker, 1 Ei, Vanille oder Zimt und 1½ Päckchen Backpulver.
Damit dies aber nicht unsere letzte Erinnerung an den Streuselkuchen bleibt, sei hier noch das Rezept eines „Streußel-Kuchen auf schlesische Art“ aus dem „Universal=Lexikon der Kochkunst“ von 1886 mitgeteilt:
„Der Streußel hierzu wird vor dem Teig in folgender Weise bereitet: Zu jedem größeren runden oder länglich viereckigen Kuchen nimmt man, die Butter zum Bestreichen und Beträufeln mit eingerechnet, 250 Gramm recht frische, gute Butter, klärt dieselbe, schäumt sie ab, gießt sie behutsam vom Bodensatze ab und schüttet sie, nachdem man zum Bestreichen ein wenig davon zurückbehalten, in eine Schüssel, um sie mit 125–150 Gramm gestoßenem Zucker, einem gehäuften Theelöffel oder halben Eßlöffel vom feinsten gestoßenen Zimmt, einigen Tropfen Citronenöl oder der abgeriebenen Schale von einer großen halben Citrone, bisweilen auch 70 Gramm süßen nebst etlichen bitteren, geschälten und gestoßenen Mandeln zu vermengen; hierauf schüttet man noch so viel feinstes Mehl hinzu, daß die Masse sich zwischen den Händen zu ziemlich großen, trockenen Klümpchen zusammenballt, die man gleichmäßig auf einem bereits aufgegangenen, mit Butter bestrichenen Kuchen von Hefenteig ohne Mandeln oder Rosinen vertheilt. Man spritzt nun noch mit einem eingetauchten Pinsel reichlich zerlassene Butter über den Kuchen und bäckt denselben in einem gleichmäßig durchheizten, nicht zu heißen Ofen hellbräunlich. Dieser Kuchen hält sich mehrere Tage vortrefflich und ist einer der wohlschmeckendsten Kaffeekuchen.“
Zusammenfassung
Gegenwart und Vergangenheit lassen sich bei den jeweiligen Rezepten zu Obst- und zu Streuselkuchen gut verbinden, denn eine Reihe von ihnen ähnelt durchaus unseren heutigen Backwerken. Vor allem die Historie der Obstkuchen lässt sich über Jahrhunderte anhand historischer Backrezepte verfolgen. Dabei war die Vielfalt der frischen oder eingemachten Früchte besonders groß und entsprach in ihrer Kombination mit herzhaften Zutaten wie in Öl gerösteten Zwiebeln noch lange der mittelalterlichen Tradition. Vielfach setzte man Wein und Trockenfrüchte wie Rosinen zum Süßen ein, um teuren Zucker zu sparen.
Was den Streuselkuchen angeht: Obschon nicht mehr genau festzustellen ist, wo er erstmals gebacken wurde, so gehörte er im 19. Jahrhundert und später sowohl in Schlesien als auch in den angrenzenden preußischen Provinzen zu den bekanntesten hausgebackenen Kuchen. Als das häusliche Backen im 19. Jahrhundert besonders populär wurde, da viele Zutaten günstiger geworden und eine große Anzahl von Kochbüchern aufgekommen waren, gehörte es zum Stolz einer jeden gutbürgerlichen Hausfrau, Gugelhupf, Rührkuchen, Obst- und Streuselkuchen herzustellen oder ihre Angestellten dazu anzuleiten.