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Irene Krauß, Volkskundlerin, ehem. Leiterin des Museums der Brotkultur, freiberufliche Publizistin und Autorin zahlreicher Werke zur Entstehung und Entwicklung von Backwaren und zur Nahrungsvolkskunde
Weder ein luftiges Brot noch ein feinporiger Zopf oder andere süße Backwaren würden ohne den Einsatz eines Lockerungsmittels gelingen. Zu den bekanntesten Triebmitteln gehören Hefe und Sauerteig, die im Teig als biologische Lockerungsmittel wirken. Bei Backpulver oder Hirschhornsalz handelt es sich dagegen um chemische Lockerungsmittel, die in der Regel für Kuchenmassen eingesetzt werden. Allen Triebmitteln gemeinsam ist, dass sie in einem Teig Gase, meist Kohlendioxid, entwickeln. Diese lassen die Poren im Teiginneren aufgehen, sodass das Backwerk locker und zart wird.
Hefe für den „Bläheffekt“
Hefen, genauer gesagt Backhefe, aber auch Bierhefen, die zur Gärung alkoholischer Flüssigkeiten wie Bier genutzt werden, bestehen aus mikroskopisch kleinen, einzelligen Pilzen. Diese verstoffwechseln den vorhandenen Zucker zu gasförmigem Kohlendioxid und Alkohol. Dabei treibt das Kohlendioxid die im Teig verteilten feinen Luftbläschen auf, der Teig „geht auf“. Er wird locker, zudem werden Stoffe gebildet, die zu dem typischen Gebäckaroma beitragen.
Heute kennen Verbraucherinnen und Verbraucher Bäckerhefe meist in Form eines kleinen 42 Gramm-Würfels aus dem Supermarkt, und doch muss man sich klarmachen, dass sich sogenannte „wilde Hefen“ überall befinden, auch in der Luft, auf unserer Haut, auf Früchten, im Getreide und vielem mehr. Jede Hausfrau kann dieses Gärungsverfahren mittels wilder Hefen auch heute noch ausprobieren, denn Teig, der lange genug im Warmen steht, wird durch die im Mehl und in der Luft befindlichen „zuckergierigen“ Hefepilze früher oder später zur Gärung gebracht. Ähnlich wie beim Brauprozess werden auch bei der Brotbereitung durch Hefen die vergärbaren Zucker im Teig zu Alkohol und Kohlendioxid abgebaut. Der entstehende Alkohol, der beim Bierbrauen erwünscht ist, verdampft bei Gebäcken weitgehend während des Backprozesses.
Saccharomyces cerevisiae, so der lateinische Name der Backhefe, die in Österreich Germ genannt wird, ist zwar erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich erforscht, wurde aber auf Basis von Erfahrungen bereits jahrtausendelang als Gärhefe für alkoholische Getränke und als Triebmittel für Weizenmehlteige verwendet.
Ein Gramm frische Backhefe besteht sage und schreibe aus etwa zehn Milliarden (10.000.000.000) einzelner, lebender Hefezellen. Die Herstellung, vielmehr Vermehrung, erfolgt in Anwesenheit von Sauerstoff und Zucker (Glucose) durch sogenannten aeroben Stoffwechsel. Die Glucose wird durch die Hefepilze in Kohlendioxid und Wasser abgebaut. Die dabei freiwerdende erhebliche Energiemenge verwenden die Hefepilze für den eigenen Stoffwechsel und vermehren sich recht üppig.
Mehr dazu in der Fachbroschüre des Wissensforum Backwaren e.V. Nr. 30 „Backhefe – Natürlich rein“.
Backen und Brauen gelang nicht immer
Von der Antike bis ins frühe Mittelalter war man auf wilde Hefen, die Vorformen unserer heutigen Kulturhefe, angewiesen, um Brot und Bier zur spontanen Gärung zu bringen. Bei der Brotbereitung sorgten sie dafür, dass der Brotteig eine Volumenvergrößerung erlebte. Diese wilden Hefen vermochten zwar Zucker in Alkohol abzubauen, öfter aber entstand durch gleichzeitig wirkende Säurebakterien Essigsäure, die den Brotteig verdarb oder das sprichwörtliche „saure Bier“ zur Folge hatte. Lange Zeit verstand man weder die genaue Bedeutung noch die genaue Handhabung der Hefepilze, aber sie galten schon immer als Helfer bei biotechnologischen Prozessen.
Schon die Menschen der alten Kultur Ägyptens haben die Brotbackkunst kultiviert. Sie verstanden es als Erste, durch das Liegenlassen des Teiges eine Gärung zu bewirken, die das Brot weniger kompakt und hart werden ließ und damit bekömmlicher machte. Immer häufiger nutzten die Bäcker deshalb über Jahrhunderte hinweg die Bierhefe der Brauer; vielfach war es sogar deren altes Recht, Hefe an die Bäcker zu liefern. Warum auch nicht: Beim Brauen entstand genügend Überschusshefe, um nicht nur den nächsten Brauvorgang einzuleiten, sondern auch den Bäckern Hefe abzugeben – gegen ein Entgelt versteht sich! Der römische Schriftsteller Plinius d. Ältere (23-79 n. Chr.) hatte die Bierhefe bereits in seiner „Naturgeschichte“ beschrieben und geschildert, dass man in Spanien und Gallien ein Getränk herstelle, dessen dicker Schaum als Triebmittel für Brot verwendet werde. Darum sei in diesen Gegenden das Brot auch lockerer als überall sonst.
So ist es nicht verwunderlich, dass viele Bäcker zusätzlich brauten und im Mittelalter aus manchen Bäckereien kleine gewerbliche Brauereibetriebe entstanden. Ohnehin galten die Bäcker, in deren warmen Backstuben – damals noch unerkannt – Hefen zuhauf herumschwirrten, als die „Gärungsspezialisten“ schlechthin, denen auch ein Biersud überraschend schnell gelang. Seit dem 16. Jahrhundert wusste man zwar etwas genauer um die Wirkungsweise der Hefe Bescheid, doch war ihre Verwendung derart heikel, dass englische Brauer sie auch als „Godisgood“, also als „Gottesgut“ zu bezeichnen pflegten. Wurde Bier durch unreine oder falsch temperierte Hefen sauer, glaubte man gar, dass böse Geister oder Bierhexen im Spiel waren. Eine Form des „Bierexorzismus“, womit man solchen Hexen das Handwerk zu legen suchte, war die Verwendung von Getreide oder Brot als Schutzmittel. So gab man unter anderem Gerstenbündel und Semmeln auf den Gärbottich. Ob‘s geholfen hat? Jedenfalls lautete ein geflügeltes Wort der Zeit zu Recht: „Backen und Brauen gerät nicht immer“, und eine weitere Erfahrung besagte: „wenn von 10 Suden, 7 geraten, ist es gut“. Das bedeutete ja wohl, dass jeder dritte Biersud misslang! Die enge Bindung zwischen Brot- und Bierherstellung findet auch sprachlich ihren Niederschlag. Zwar ist deren Herkunft nicht mit Sicherheit bestimmbar, aber der Begriff „Brot“ wird von den meisten Sprachwissenschaftlern dem indogermanischen Wortkomplex „brauen“ zugeordnet. Gleichermaßen soll sich auch das Wort „Bier“ von dem germanischen Wortstamm „brodeln“ – also brauen – ableiten. Geradezu lautmalerisch wird also in beiden Fällen der Prozess des Gärens und Erhitzens beziehungsweise Backens beschrieben.
Hefeteig heute – geht perfekt auf
Heutzutage kann man sagen: Backen und Brauen gerät fast immer. So sind die alten Beschwörungen beim Brot backen oder auf Bierfässern „GGG“ = „Gott geb‘ Glück“ nicht mehr notwendig angesichts der – seit Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten – Möglichkeit, aus einer einzigen Hefezelle gezielt gleichbleibend reine Hefen zu züchten.
Es war der französische Chemiker Louis Pasteur (1822-1895), der im Jahre 1857 mithilfe des Mikroskops nachweisen konnte, dass Hefekulturen bei der Gärung eine entscheidende Rolle spielen. Der dänische Botaniker Emil Christian Hansen (1842-1909) fand wenig später heraus, dass es sich bei der Hefe um lebende Pilzkulturen handelt. Diese Entdeckungen verdeutlichten, dass ohne Hefe keine Fermentation stattfindet, und dass es die Anwesenheit anderer Organismen wie wilde Hefen oder Bakterien sind, die das Gärverhalten stören und zu schlecht aufgegangenen Brotlaiben oder sauren Bieren führen. Somit hatten die Brotbäcker, Weinkelterer und Bierbrauer endlich die Erklärung, wer ihnen bei ihrer jahrhundertelangen Arbeit geholfen hat, nämlich die Hefe. Vor allem in festen Teigen, und ganz besonders im Brot, sind Hefen als biologische Lockerungsmittel gut wirksam. Hohe Temperaturen können Hefen beim Gärvorgang allerdings nicht überleben; die beste Temperatur für den „Trieb“ liegt bei etwa 32 °C.
Die Bäcker verwenden heute ihre eigene Backhefe (Presshefe oder Flüssighefe), die zum Backen besonders gut geeignet ist. Frische Backhefe enthält keine weiteren Inhalts- oder Zusatzstoffe. Die entscheidenden Qualitätsmerkmale sind dabei vor allem die Triebkraft und die Haltbarkeit. Zum Backen in der heimischen Küche verwenden die Verbraucherinnen und Verbraucher in der Regel frische Hefe in Form eines Würfels von 42 Gramm. Wer sich fragt, welche Bedeutung gerade dieses Gewicht für das Gelingen eines Brotlaibs hat, dem sei gesagt, dass auch einige Gramm mehr oder weniger erfolgreich wären. Früher allerdings bekamen die Bäcker ihre Hefe in 500-Gramm-Blöcken geliefert, die sie dann in zwölf gleiche kleine Würfel schnitten; jeder Würfel für ungefähr 1 kg Brot. Daraus ergab sich bei der Teilung ein Gewicht von jeweils rund 42 Gramm.
Sauerteig
Beim Sauerteig gelingt die Lockerung des meist aus Roggenmehl oder Weizenmehl bestehenden Sauerteigansatzes mithilfe verschiedener Milchsäurebakterien und Hefen. Die schnell wachsenden Milchsäurebakterien sorgen durch Bildung von Milch- und Essigsäure für eine Absenkung des pH-Wertes und dadurch auch für den typischen säuerlichen Geschmack. Zusätzlich entstehen Aromastoffe und Aromavorläuferverbindungen, die durch den Backprozess in eine Vielzahl aromarelevanter Verbindungen umgesetzt werden.
Mehr dazu in der Fachbroschüre des Wissensforum Backwaren e.V. Nr. 25 „Sauerteig“.
Backpulver für den Kuchenteig
Beim Backpulver handelt es sich um ein chemisches Lockerungsmittel, das zum Backen eingesetzt wird. Die Hauptkomponenten sind meist Carbonate und saure Phosphate, die zu den Lebensmittelzusatzstoffen mit dem Klassennamen „Backtriebmittel“ gehören. Bereits im Jahr 1885 fand das Produkt in einem zeitgenössischen Kochbuch Erwähnung: „In der Neuzeit bedient man sich häufig des sogenannten Backpulvers statt der Hefe als Hebemittel. Das Backpulver wird auch Backsoda oder Natron genannt.“ Seinerzeit dürften sich die Verbraucher in Deutschland noch verunsichert gefühlt haben. Immerhin hatte man bislang über Jahrhunderte hinweg vielen Backwerken noch mittels Hefe die nötige Lockerheit verliehen. Feine Backwaren aus Kuchenmassen wie beispielsweise Biskuit oder Rührkuchen wurden dagegen in der Regel mithilfe einer großen Anzahl von Eiern gelockert. Die Lockerung findet dabei durch Luft statt. Eier enthalten den Emulgator Lecithin, der die Einarbeitung von Luft durch Rühren oder Schlagen erleichtert. So findet man in Rezepten des 18. Jahrhunderts für den in bürgerlichen Kreisen so beliebten Gugelhupf schon mal acht ganze Eier und zusätzlich acht Eidotter als Rezeptzutaten, dazu zwei Löffel Hefe, 250 Gramm Butter oder Schmalz und 315 Gramm Mehl – eine Masse von feiner Qualität, die einen sehr zarten, üppigen Kuchen ergab. Und der bayerische Meisterkoch Johann Rottenhöfer veranschlagte zu Beginn des 19. Jahrhunderts für seinen gerührten Gugelhupf zusätzlich zur Hefe gleich 20 Eier und 280 Gramm Butter auf 350 Gramm Mehl.
Ebenfalls vom Bäcker eingesetzt wurde das Hirschhornsalz als Auflockerungsmittel für Lebkuchen und andere flache Backwaren, so genannt, weil es ursprünglich aus tierischen Bestandteilen wie Horn, Leder und Klauen hergestellt worden war.
Zurück zum Backpulver. Das Produkt hat im Grunde genommen die gleiche Wirkung wie die Backhefe im Hefeteig oder Bakterien im Sauerteig: Es setzt Kohlendioxid frei. Einschränkend muss man jedoch sagen, dass es sich zum Brotbacken aus geschmacklichen Gründen weniger eignet. Die Verwendung ist im Wesentlichen auf Haushaltsbackmischungen beschränkt.
Chemie in der Backstube
Von der stofflichen Zusammensetzung her handelt es sich bei Backpulver in den meisten Fällen um eine Mischung aus Kohlendioxid freisetzenden Bestandteilen wie dem Natriumhydrogencarbonat (E500ii) – dem Laien besser unter dem Begriff „Natron“ bekannt. Dazu kommt ein Säureträger, etwa Dinatriumdiphosphat (E 450(i)) sowie ein Trennmittel. Der Säureträger setzt das Kohlendioxid frei, sobald beide Stoffe in den feuchten Massen/Teigen, vor allem aber während des Backprozesses miteinander reagieren. Daneben gibt es noch weitere Backtriebmittel für spezifische Anforderungen mit anderen Säureträgern wie Weinstein, Citronensäure, Glucono-delta-Lacton. Backpulver ist demnach ein ausgezeichnetes Triebmittel, das vor allem bei Rührteigen eingesetzt wird.
Mehr dazu in der Fachbroschüre des Wissensforum Backwaren e.V. Nr. 09 „Backpulver – Geschichte und Wissen heute“.
Die Geschichte des Backpulvers
Wer heutzutage seinem Kuchenteig den Inhalt eines Backpulverpäckchens zufügt, macht sich vermutlich wenig Gedanken über die Entstehungsgeschichte dieses Backmittels. Die Mischung ist erprobt, das Ergebnis stets zuverlässig und perfekt. Als Erfinder des Backpulvers gilt der US-amerikanische Chemiker und Harvard-Professor Eben Norton Horsford (1818-1893), ein ehemaliger Student des deutschen Chemikers Justus von Liebig (1803-1873). Horsford experimentierte ab 1856 zunächst mit saurem Calciumphosphat und Natriumhydrogencarbonat, um damit beim Backen im Teig Bläschen zu erzeugen, die beim Abbacken im Backwerk als Hohlräume erhalten bleiben. Horsford und auch Liebig verbesserten das Produkt weiter, bis Horsford das Produkt schließlich um 1860 als „baking powder“ patentieren ließ. Der einsetzende US-amerikanische Bürgerkrieg führte zu einer großen Nachfrage nach Backpulver zum Backen von Broten. Dementsprechend musste Horsford seine Produktionsanlagen ständig erweitern. In Deutschland konnte sich das Backpulver bis in die 1870er-Jahre dagegen nicht so recht durchsetzen. Allerdings führte Liebig 1868, als in Ostpreußen eine große Hungersnot herrschte, weitere Arbeiten über Backpulver als Hefeersatz beim Brotbacken durch.
Kleinste Mengen – große Wirkung
Der Erfolg des modernen Backpulvers in Deutschland ist untrennbar mit Dr. August Oetker (1862-1918) verbunden, der 1891 das herkömmliche Backpulver verbesserte und für den privaten Haushalt populär machte.
Als Sohn eines Bäckermeisters und Besitzer einer Apotheke versuchte er, die an der Universität erworbenen wissenschaftlichen Kenntnisse der Chemie und Physik dafür einzusetzen, um „noch etwas ganz Besonderes (zu) schaffen“. Dazu experimentierte Oetker weiter mit dem seinerzeit noch recht unzuverlässigen Backpulver, das haltbarer und geschmacklos werden sollte und zudem eine gleichbleibend gute Wirkung entfalten musste. Bis dahin war Backpulver beim Bäcker lediglich zum Brotbacken eingesetzt worden. Oetker dagegen vermarktete das Produkt geschickt als Triebmittel für die zunehmend gerne im Haushalt gebackenen Kuchen. Backpulver sollte dazu beitragen, den hohen Anteil der Eier zu reduzieren, die bislang zum Lockern eines Teiges notwendig gewesen waren. Darüber hinaus füllte Oetker das Backpulver in kleinsten Portionen ab, genau abgestimmt auf eine bestimmte, gängige Menge Mehl. Denn nur eine vorgegebene, genau abgewogene Menge an Backpulver garantierte auch die entsprechende Backwirkung. Dafür muss man sich vor Augen halten, dass in jener Zeit das genaue Abwiegen im privaten Haushalt schlichtweg noch nicht möglich war und die Hausfrau üblicherweise die benötigten Zutaten nach „Teelöffeln“ abzumessen hatte. Oetker dagegen füllte ab 1893 sein Backpulver „Backin“ in Kleinstpackungen für 10 Pfennig ab – genau abgestimmt auf exakt eine Rezeptanwendung. 1898 ging er zur Massenproduktion über, und am 21. September 1903 ließ er sich das entsprechende Verfahren patentieren. Noch heute wird das Backpulver von der Dr. August Oetker KG in unveränderter Rezeptur hergestellt. Lediglich das Äußere der Verpackung hat sich dem jeweiligen Zeitgeschmack angepasst, wobei das einprägsame Logo, nämlich ein Schattenumriss, der sogenannte Hellkopf, auf rotem Grund bis heute als Erkennungsmerkmal geblieben ist. Dahinter stand die Idee, dass intelligente Menschen die Produkte von Dr. Oetker verwenden sollten: „ein heller Kopf backt mit …“.
Backen im 19. Jahrhundert im Trend
Dass das Backpulver zu Beginn seiner Karriere eine solche Bedeutung gewann, hatte nicht nur mit den wissenschaftlichen Fähigkeiten und Marketingkünsten eines August Oetker, sondern auch grundsätzlich mit dem Aufleben der häuslichen Kuchenkultur in jener Zeit zu tun. Tatsächlich war es so, dass im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit der Pflege des Familienlebens und dem Bemühen um häusliche Behaglichkeit eine ausgesprochene Freude am Kochen und Backen aufkam. Es gehörte zum Stolz einer jeden gutbürgerlichen Hausfrau, Baumkuchen, Gugelhupf, Rührkuchen und Springerle herzustellen oder ihre Angestellten dazu anzuleiten. Dementsprechend lagen auch nachmittägliche „Kaffeekränzchen“ im Trend jener Zeit. Dieses Aufleben des häuslichen Backens wurde durch mehrere praktische Gegebenheiten begünstigt. Zunächst einmal war es erst im 19. Jahrhundert gelungen, aus der heimischen Runkelrübe billigen Zucker zu gewinnen, der in der Qualität dem teuren Rohrzucker in nichts nachstand. Zwar hatte bereits der Berliner Chemiker Andreas Sigismund Marggraf im Jahre 1747 bei seinen Untersuchungen über Pflanzensäfte einen Zuckerlieferanten in der Runkelrübe entdeckt, doch herrschten Misstrauen und die Ansicht vor, dass der Rübenzucker keineswegs der Qualität des echten Rohrzuckers entspräche. Erst nach langjährigen Forschungen durch den Nachfolger Marggrafs an der Preußischen Akademie der Wissenschaften Berlin, den Chemiker Franz Karl Achard, konnte 1799 eine Probe des aus Runkelrüben hergestellten Haushaltszuckers an den Preußenkönig Wilhelm III. übergeben werden. Dieser ließ sich überzeugen, und 1801 entstand im schlesischen Kunern die erste rübenverarbeitende Zuckerfabrik der Welt. Durch diese industrielle Herstellung konnte die einstige Kolonialware Zucker gegen Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Lebensmittel für jedermann werden. Ähnlich war es mit dem Mehl, das nun seit der Einführung des Walzenstuhls in der Müllerei besonders fein, gleichzeitig aber billig zu haben war. All das waren gewaltige Schritte vorwärts in der Geschichte der häuslichen Kuchenbäckerei, zumal auch Backformen preisgünstiger wurden und Kochbücher allmählich eine weite Verbreitung fanden und in höheren Auflagen erschienen. Da passte das Backpulver als Hilfsmittel für das häusliche Backen gut ins Bild, zumal auf jeder Einzelpackung ein kostenloses Kuchenrezept zu finden war, das die Hausfrau gerne einmal ausprobierte.
Zusammenfassung
Lockeres, feinporiges Brot und zarte Gebäcke sind nur mit Triebmitteln wie Hefe, Sauerteig oder Backpulver möglich. Tatsächlich ist Hefe als biologisches Triebmittel eine geradezu magische Zutat, denn die mikroskopisch kleinen Hefepilze wandeln während der Brotgärung den Zucker in Kohlendioxid und Alkohol um. Das gasförmige Kohlendioxid lässt den Brotteig aufgehen. Weil (wilde) Hefen fast überall in der Natur vorkommen, lockerten die Menschen ihre Brotprodukte mithilfe der Hefe unbewusst seit vielen Jahrtausenden. Der Vorgang selbst wurde erstmals im 19. Jahrhundert von Louis Pasteur und Emil Hansen erforscht. Durch ihre Erkenntnisse konnte Hefe rein gezüchtet, also kontrolliert vermehrt werden. Heute werden Backhefen, die für den Einsatz in Hefeteigen optimiert sind, ohne weitere Inhalts- oder Zusatzstoffe industriell produziert.
Backpulver, bestehend aus Natriumhydrogencarbonat, einem Säureträger und einem Trennmittel, setzt beim Backen ebenfalls das Gas Kohlendioxid frei. Dies ist ein rein chemischer Prozess, bei dem nur Wasser und Wärme benötigt werden; auf den Zucker kann – anders als bei der Hefe – verzichtet werden. Es wird hauptsächlich zur Lockerung von Feinen Backwaren eingesetzt. Backpulver ist um 1860 von dem US-Amerikaner Eben Norton Horsford als „baking powder“ eingeführt worden; in Deutschland ließ Dr. August Oetker sein „Backin“, abgepackt in Einzelportionen, im Jahr 1903 patentieren.