Kathrin Feldbrügge, Pressesprecherin der Initiative Urgetreide
Vergangenheit mit Zukunft – unter diesem Motto setzt sich die Initiative Urgetreide dafür ein, ursprüngliche Getreide wie Einkorn, Emmer, Khorasan, Urroggen, Urdinkel und Urgerste wieder bekannter zu machen. Die Getreide haben es im wahrsten Sinne des Wortes in sich – sie sind gleichzeitig Ökos und Oldies, Trendsetter und Traditionalisten. Damit bieten sie einen kernigen Mehrwert für die Umwelt, für Landwirte, für Konsumenten und natürlich auch für Bäcker.
Vor rund 12.000 Jahren ereignete sich eine soziokulturelle Revolution: Die Menschen im sogenannten Fruchtbaren Halbmond, einer Gegend rund um das heutige Anatolien, Syrien, Israel, Iran, Irak und den Libanon, begannen mit dem Ackerbau. Damit ermöglichten sie den Übergang einer Gesellschaft der Jäger und Sammler hin zu einem sesshaften Volk. Die ersten Getreidearten, die dort auf den Feldern wuchsen, waren Einkorn und Emmer – die Vorfahren unseres heutigen Brotweizens. Vom Fruchtbaren Halbmond breiteten sich die alten Getreidearten über die nächsten Jahrtausende in vielen Teilen Europas aus und ernährten ganze Völker in verschiedenen Klimazonen.
Der gesellschaftliche Fortschritt durch den Siedlungsbau brachte neue Handelsplätze und Staatsformen und machte auch vor dem Ackerbau nicht Halt. Größere Ernten und Getreide mit besserem Ertrag wurden notwendig, um wachsende Bevölkerungen in den Städten und auf dem Land zu ernähren. Das führte zur Weiterentwicklung der alten Getreidearten, die aufgrund ihrer langen Halme und der Spelzen ums Korn nur umständlich zu bearbeiten waren und zum Teil schwache Backleistungen zeigten. Bis zum 19. Jahrhundert war das, was wir heute Urgetreide nennen, in Europa fast vollständig von den Feldern und Tellern verschwunden.
Die Renaissance der alten Körner
In unserer heutigen Zeit gibt es nun eine bewusste Gegenbewegung zum Fokus auf Effizienz und Ertrag. Biologische Vielfalt, Naturbelassenheit und authentischer Geschmack werden heute ebenso als Kostbarkeit geschätzt wie die Zutaten, die ein Gebäck mit Urgetreide benötigt. Denn der Anbau und die Verarbeitung der ursprünglichen Getreide sind eine gewisse Herausforderung – und gerade deshalb passt die Renaissance von Urgetreide zu aktuellen Verbraucherbedürfnissen, die sich als Antwort auf unsere digitalisierte Welt entwickelt haben.
„Die Sehnsucht nach Tradition und Genuss kann in Gestalt von Backwaren aus Urgetreide erfüllt werden.“
Sieben gute Gründe für Urgetreide
1. Tradition
Mehr Geschichte geht nicht: Einkorn und Emmer wurden bereits vor rund 12.000 Jahren angebaut, ihre Verwandten sind nicht viel jünger. Schon dem römischen Herrscher Julius Cäsar (100 – 44 v. Chr.) sollen Gebäcke aus Emmer gemundet haben. Als wichtigstes Anbaugetreide im alten Ägypten und im antiken Griechenland wurde Emmer auch „Pharaonenweizen“ genannt. Dass Einkorn und Emmer auch in unseren Breitengraden eine große Rolle spielten, bewiesen unter anderem archäologische Funde in den Alpen. Um Urdinkel spannen sich sogar Geschichten in der griechischen Mythologie: Das Urgetreide soll ein Geschenk der Göttin Demeter an die alten Griechen gewesen sein. Sie sahen es deshalb als ihre Aufgabe, auf ihren Reisen die restliche Welt zu lehren, wie man Urdinkel verwenden und ehren sollte. Voller Ehrerbietung war auch die heiliggesprochene Benediktineräbtissin Hildegard von Bingen (1098 – 1179), die laut der Überlieferung Urdinkel als „Universal-Arzneimittel“ pries. Und 1991 fand sich Einkorn im Magen der 5.000 Jahre alten Gletschermumie Ötzi, die in den österreichischen Alpen gefunden wurde. Die heutigen Freunde von Urgetreide haben also große Vorbilder.
2. Naturbelassenheit
Die meisten der Urgetreidearten, die heute auf kleinen Flächen im deutschsprachigen Raum wieder angebaut werden, sind züchterisch unverändert. Wie der Wissenschaftler Dr. Friedrich Longin von der Universität Hohenheim in seinem Buch „Unterschätzte Getreidearten“ schreibt, sind sie „ein wertvolles Reservoir von Eigenschaften, die sonst verloren gingen und die in Zukunft durchaus noch einmal gebraucht werden können. Gerade im Hinblick auf den globalen Klimawandel kann es wichtig werden, Getreideformen zu haben, die besonders widerstandsfähig gegen Trockenheit, Hitze, Salz oder Ozon sind. So könnte der schwarze Emmer mit seinen dunkelgefärbten Spelzen langfristig an Bedeutung gewinnen. Seine dunkelblauen Pflanzenfarbstoffe (Anthocyane) schützen das Getreide besonders gut gegen UV-Strahlen. Auch gibt es Emmersorten, die selbst bei sehr geringen Niederschlagsmengen von 250 mm (pro Quadratmeter und Jahr) in der syrischen Halbwüste wachsen und Ertrag bringen.“
3. Nährstoffgehalt
Urgetreide sind nicht nur kernig im Biss, sondern haben es auch in sich: Dr. Longin stuft Einkorn „anhand seines überragenden Profils an gesundheitsfördernden Inhaltsstoffen wie Carotinoiden, Mineralstoffen und sekundären Inhaltsstoffen (Zink, Selen) fast schon als ‚funktionales‘ Lebensmittel“ ein. Auch Dinkel enthält nach Versuchen von Dr. Longin mehr Carotinoide, Zink und Selen als Weichweizen. Khorasan wird ein höherer Gehalt an Proteinen, Selen, Zink, Magnesium und Vitamin E zugeschrieben.
4. Nachhaltigkeit
Einige Urgetreide sind zähe Naturburschen: Einkorn wird als „ökologischer Anpassungskünstler“ („Unterschätzte Getreidearten“) gehandelt, der auch kalten Wintern, feuchten Sommern, Höhenlagen oder schlechten Böden trotzt. Emmer wird noch heute in Äthiopien angebaut und gegessen. Dinkel ist ein beliebtes Getreide in Mittelgebirgslagen, da er über eine sehr gute Winterfestigkeit verfügt. Urroggen wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein in klimatisch ungünstigen Berglagen angebaut und hat dank des geringen Bedarfs an Pflanzenschutz oder Dünger eine gute Umweltbilanz. Vom seinem Anbau profitieren nicht nur die Landwirte, sondern auch die Böden: Als ausdauerndes, also mehrjährig wachsendes Getreide, durchdringt er den ganzen Acker mit einem kräftigen Wurzelsystem. So benötigt er weniger Wasser und bietet einen natürlichen Erosionsschutz.
5. Geschmack
Nussig, buttrig, würzig, aromatisch – Urgetreide geben Gebäcken und Gerichten eine charakteristische Note. Der authentische Geschmack macht Backwaren aus alten Körnern so begehrenswert als Alternative zu herkömmlichen Weizengebäcken. Gerade bei Feingebäcken kommen die besonderen Geschmacksprofile von Einkorn, Emmer, Urroggen und Co. in Kombination mit Zutaten wie Honig, Mandeln, Nüssen oder Früchten unvergesslich zur Geltung.
6. Exklusivität
Während Weizen und Roggen heute in aller Munde sind, bleiben Urgetreide eine kulinarische Besonderheit. Derzeit ernten nur wenige Landwirte die alten Sorten, sodass jedes Korn eine exklusive Kostbarkeit ist. Das liegt nicht nur daran, dass die ursprünglichen Getreide einen deutlich geringeren Ertrag als moderner Weizen haben. Sie sind auch schwerer zu bearbeiten, da sie ihre Körner mit einem natürlichen Schutz, dem sogenannten Spelz, umschließen. Diese Hülle muss mit Spezialmaschinen entfernt werden, bevor das Korn weiterverarbeitet werden kann. Forschungen zufolge schützt dieser Spelz das Korn gegen bestimmte Pilze und andere Schädlinge. Auch in der Backstube bleiben Urgetreide aufgrund ihrer schwachen Klebereigenschaften eine Herausforderung – der es sich mit speziellen Rezepturen und Führungsmethoden zu begegnen lohnt.
7. Biologische und kulturelle Vielfalt
Die Wiederentdeckung der ursprünglichen Getreidearten trägt dazu bei, eine biologische und kulturelle Vielfalt zu erhalten – und das nicht nur auf dem Feld, sondern auch in der Küche. Viele alte Getreide sind Grundlage für regionaltypische Produkte und Spezialitäten, die in einer globalisierten Welt mehr denn je geschätzt werden.
Die Initiative Urgetreide setzt sich für die alten Arten ein
Alte Getreide ins Scheinwerferlicht rücken
Die Initiative Urgetreide möchte den Wert der alten Getreidearten herausstellen. Sie möchte bewusst machen, dass unsere heutigen Getreide eine Geschichte haben, die nicht in Vergessenheit geraten sollte. Dafür kommuniziert der Verein in allen relevanten Kanälen – also über Print- und Onlinemedien, soziale Netzwerke, Website, Präsenz bei Veranstaltungen und Messen, Flyer und natürlich über den persönlichen Kontakt unter 0421 830 50 21.
Wissen zum Thema sammeln und verbreiten
Auf der Website www.initiative-urgetreide.de finden Interessierte Informationen zur Geschichte der Urgetreide, zu ihren Eigenschaften, ihrem Anbau und zur Verwendung in der Backstube und Küche. Datenbanken für Fotos, Fachliteratur sowie Rezepte bieten reichhaltiges Material für alle, die sich praktisch mit dem Thema befassen möchten.
Bäcker für das Potenzial sensibilisieren
Der Verein möchte zeigen, dass mit Urgetreide Produkte erzeugt werden können, die in puncto Genuss und Authentizität etwas Besonderes sind. Sie geben unter anderem Handwerksbäckern die Chance, sich vom Lebensmittelhandel und Backdiscountern zu differenzieren und beim Kunden zu punkten.
Die Mitgliedsbasis erweitern
Die Initiative Urgetreide wird getragen von ihren Mitgliedern und richtet sich an Unternehmen und Institutionen aus allen Bereichen der Produktion, Verarbeitung und Forschung zu Urgetreide sowie interessierte Einzelpersonen. Zu den Gründungsmitgliedern gehört CSM Bakery Solutions. Bei Interesse an einer Mitgliedschaft freut sich der Verein über eine formlose Mail an info@initiative-urgetreide.de.
Weitere Informationen finden Interessierte auf www.initiative-urgetreide.de.