Hier schreiben meyer.rechtsanwälte darüber, was in der Welt des Lebensmittelrechts vor sich geht. Was gibt es Neues? Was gilt es zu beachten? Und welche Kuriositäten gibt es zu berichten?
Polina Schnur, Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Lebensmittelrecht, insbesondere tätig im Bereich Risk Assessment und Krisenmanagement
Ethylenoxid in Sesam
Rückruf oder kein Rückruf, das ist hier die Frage …
Die Belastung von Sesam mit Ethylenoxid ist derzeit in aller Munde. Die Funde von Ethylenoxid in Sesamsamen sind Gegenstand diverser öffentlicher Mitteilungen, Meldungen im Europäischen Schnellwarnsystem RASFF sowie öffentlicher Rückrufe. Der europäische Gesetzgeber hat bereits reagiert und mit der VO (EU) 2020/1540 die amtlichen Kontrollen bei der Einfuhr von Sesam aus Indien verschärft.
Für viele Unternehmen stellt sich dennoch die Frage, wie im Rahmen der Produktsicherheit mit dieser Problematik umzugehen is
Was ist Ethylenoxid?
Bei Ethylenoxid handelt es sich um einen gasförmigen Biozidwirkstoff zur Sterilisation von Gewürzen. Die teilweise hohen Gehalte von Ethylenoxid lassen darauf schließen, dass dieses in Indien systematisch zur Verbesserung des mikrobiologischen Status bei Sesam eingesetzt wurde, insbesondere um das Risiko an Salmonella zu senken.
Was ist geregelt?
Die aktive Substanz Ethylenoxid ist derzeit auf EU-Ebene nicht für den Einsatz in Pflanzenschutzmitteln oder Biozidprodukten zugelassen.
Gemäß Art. 18 Abs. 1 VO 396/2005 dürfen unter Anhang I fallende Erzeugnisse ab dem Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens als Lebensmittel keine Pestizidrückstände enthalten, die den festgelegten Rückstandshöchstgehalt (RHG) überschreiten. Der RHG für Ethylenoxid in Sesamsamen beträgt 0,05 mg/kg.
Bei verarbeiteten und zusammengesetzten Erzeugnissen ist zu beachten, dass der RHG von 0,05 mg/kg nicht unmittelbar anwendbar ist und gemäß Art. 20 Abs. 1 VO 396/2005 mögliche Verarbeitungsfaktoren sowie Anteil an Sesam im Enderzeugnis zu berücksichtigen sind.
Ferner ist in Art. 19 VO 396/2005 ein Verarbeitungsverbot statuiert für Erzeugnisse, die den festgelegten RHG überschreiten. Jedoch führt ein Verstoß ausschließlich gegen Art. 19 VO 396/2005 nicht zwingend zu einem Verkehrsverbot des Enderzeugnisses. Dieser hat lediglich die bewusste Verarbeitung nicht verkehrsfähiger Rohwaren zum Gegenstand. Die Vorschrift regelt jedoch weder die Frage, ob das hergestellte Lebensmittel verkehrsfähig noch ob das Erzeugnis sicher ist (siehe auch Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, BMEL, Schreiben vom 11.08.2017 zur rechtlichen Einordnung der Verkehrsfähigkeit von Erzeugnissen im Anwendungsbereich der VO 396/2005).
Was ist zu tun?
Für die Entscheidung, welche Maßnahmen im Rahmen von Art. 14, 19 BasisVO 178/2002 (Rücknahme? Rückruf?) einzuleiten sind, wenn eine Belastung mit Ethylenoxid festgestellt wurde, ist eine Risikobewertung gemäß Art. 6, 7 BasisVO 178/2002 erforderlich.
Anders als von einigen behördlichen Schreiben impliziert (so zum Beispiel BMEL, Schreiben vom 13.10.2020 zu Ethylenoxid in Sesamsamen aus Indien), bewirkt eine Überschreitung des Höchstgehalts keinen automatischen Rückruf. Ein solcher Automatismus ist dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen und würde gegen die Grundsätze verstoßen, die bei der Entscheidung der Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist, anzuwenden sind. Daher ist auch in Fällen von Ethylenoxid eine einzelfallbezogene Risikobewertung unabdingbar.
Die Erforderlichkeit und Möglichkeit der Risikobewertung wird auch durch die aktuelle Stellungnahme des Bundesinstitut für Risikobewertung (Gesundheitliche Bewertung von Ethylenoxid-Rückständen in Sesamsamen, Stellungnahme Nr. 056/2020 vom 23.12.2020) bestätigt und kann als Grundlage für Entscheidungen hinsichtlich zu treffender Maßnahmen herangezogen werden.
Fazit
Es gilt die Bedeutung eines Krisenmanagements im Unternehmen sowie einer Risikobewertung anhand jedes Einzelfalles zu betonen. Die Fälle von Ethylenoxid werden uns sicherlich noch eine Zeit lang begleiten. Insofern sollten aktuelle Entwicklungen beobachtet und Sensibilität für die Problematik im Rahmen des Krisenmanagements geschaffen werden.