Foto: © Bundesmühlenkontor GmbH/Antonios Mitsopoulos
Bärbel Ines Hintermeier LL.M., Syndikusrechtsanwältin beim Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS
Gluten- oder auch weizenfreie Produkte erfreuen sich seit geraumer Zeit großer Beliebtheit nicht nur bei Verbrauchern mit Zöliakie oder Glutensensitivität, sondern häufig auch bei völliger Beschwerdefreiheit. Der anhaltende Glutenfrei-Trend sorgt für einen wachsenden Markt entsprechender Produkte weltweit. Immer häufiger begegnen uns in diesem Zusammenhang aber auch abstruse Werbeangaben, beispielsweise tragen plötzlich von Natur aus glutenfreie Produkte, wie etwa Gurken, die Angabe „glutenfrei “.
Populärwissenschaftliche Bücher sowie pseudowissenschaftliche Beiträge in Sozialen Medien stellten in den vergangenen Jahren Behauptungen auf, wie beispielsweise, dass der Verzehr von Weizen Übergewicht verursache, dass Gluten den Magen verklebe oder die modernen Weizensorten überzüchtet seien und von Menschen schlecht verdaut würden. Diese Art von Büchern und Beiträgen hat fälschlicherweise zu der breiten öffentlichen Wahrnehmung geführt, dass Gluten, Weizen und Brot generell Verursacher von chronischen Erkrankungen in der Bevölkerung seien. Es finden sich auch immer wieder Lebensmittelunternehmen, die in der Werbung für ihre Produkte das sog. Weizen-Bashing nutzen, um ihre eigenen Produkte zu vermarkten und vom Glutenfrei-Trend zu profitieren.
Wie eingangs erwähnt, sind weizenfreie Produkte für einen Teil der Bevölkerung äußerst wichtig, beispielsweise für Weizenallergiker oder Menschen mit Zöliakie oder Glutensensitivität. Gleichwohl ist es wesentlich, die Reputation des Weizens damit nicht infrage zu stellen oder gar Fehlinformationen über weizenbasierte Produkte in der Werbung zu verbreiten, nur um den eigenen Umsatz zu steigern. Denn zum einen stellt der Weizen mit jährlichen 765 Millionen Tonnen nach Mais mit 1.150 Millionen Tonnen und noch vor Reis mit 755 Millionen Tonnen (jeweils bezogen auf die Ernte 2019) die zweitwichtigste Getreideart für die Versorgung der Weltbevölkerung dar, zum anderen sind solche Werbeangaben auch aus rechtlicher Sicht in der Regel als unlauter zu beurteilen.
Herabsetzung von Mitbewerbern Unzulässig
Neben dem Irreführungsverbot in der Lebensmittelinformationsverordnung VO (EU) 1169/2011 gibt es auch im Allgemeinen Wettbewerbsrecht das Wahrheits- und Transparenzgebot in der Werbung. Darüber hinaus verbietet das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) die Herabsetzung und Verunglimpfung von Mitbewerbern, § 4 Nr. 1 UWG. Eine Herabsetzung ist dabei die sachlich nicht gerechtfertigte Verringerung der Wertschätzung des Mitbewerbers durch ein abträgliches Werturteil oder eine abträgliche wahre oder unwahre Tatsachenbehauptung; Verunglimpfung ist eine gesteigerte Form der Herabsetzung, die darin besteht, den Mitbewerber ohne sachliche Grundlage verächtlich zu machen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert die Beurteilung der Frage, ob eine Werbeaussage eines Wettbewerbers einen Mitbewerber herabsetzt, wiederum eine Gesamtwürdigung, die die Umstände des Einzelfalls wie insbesondere den Inhalt und die Form der Äußerung, ihren Anlass, den Zusammenhang, in dem sie erfolgt ist, sowie die Verständnismöglichkeit der angesprochenen Verbraucher berücksichtigt. Dabei kommt es maßgeblich auf die Sicht des durchschnittlich informierten und verständigen Adressaten der Werbung an. Für die Bewertung maßgeblich ist daher der Sinngehalt der Äußerung, wie sie vom angesprochenen Verkehr verstanden wird. In die Gesamtwürdigung sind betroffene Grundrechtspositionen einzubeziehen, wie die Meinungsfreiheit.
Die Gleichstellung von Herabsetzung und Verunglimpfung macht deutlich, dass eine Herabsetzung mehr voraussetzt als die einem kritischen Werbevergleich immanente Gegenüberstellung der Vorteile und Nachteile der verglichenen Produkte.
Falsche Tatsachenbehauptungen, die nach dem Stand der Wissenschaft nicht haltbar sind, werden regelmäßig als unzulässig angesehen sein.
Beispiele im Faktencheck
Eine häufige Fehlinformation suggeriert, ein Großteil der Menschen könne das im Weizen enthaltene Gluten (Klebereiweiß) nicht verdauen, was zu einem unangenehmen Völlegefühl, Verdauungsproblemen und Trägheit führe.
Hiermit werden zwei Aussagen getroffen, die sachlich nicht richtig sind und weizenbasierte Produkte gleichzeitig zu Unrecht diskreditieren. Es gilt im Hinblick auf Weizen zwischen drei Krankheitsbildern zu unterscheiden, der Zöliakie, der Weizenallergie und der „Nicht-Zöliakie-Nicht-Weizenallergie-Weizensensitivität“, auch Glutensensitivität genannt. An Zöliakie leiden in Deutschland nur zwischen 0,5 und 1 % der Bevölkerung, bei der Weizenallergie sind es ca. 0,5 %. Bei ihnen führt Weizen zu allergischen oder Autoimmunreaktionen. Sie müssen in der Tat auf Weizen bzw. Gluten verzichten. Nach dem Stand der Wissenschaft leiden zudem höchstens 6 % an einer Glutensensitivität. Bei solchen Personen ist eine weizen-/glutenarme Ernährung angeraten.
Vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse besteht für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (90–95 %), bei der kein Hinweis auf derartige Krankheitsbilder vorliegt, kein Grund, auf Weizen und andere glutenhaltige Getreidearten wie Roggen und Co. zu verzichten. Bei entsprechend stoffwechselgesunden Menschen gibt es keine Hinweise, dass Gluten nicht verträglich ist.
Eine Werbung auf Basis dieser Fehlinformation wäre dementsprechend als unzulässig zu bewerten. Zudem ist diese Angabe geeignet, Weizenprodukte pauschal herabzusetzen. Nicht zuletzt sind solche gesundheits- oder gar krankheitsbezogenen Angaben an der Health-Claims-Verordnung (EU) 1924/2006 zu messen.
Eine weitere Fehlinformation, die häufig in sozialen Medien anzutreffen ist, ist die Aussage, dass moderner Weizen überzüchtet sei und zu einem hohen Anteil aus Gluten bestehe. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine falsche Tatsachenbehauptung.
Um herauszufinden, wie groß die Unterschiede zwischen alten und neuen Weizenzüchtungen wirklich sind, untersuchte das Team um Dr. Katharina Scherf am Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie den Eiweißgehalt von 60 bevorzugten Weizensorten aus der Zeit zwischen 1891 und 2010. Wie Analysen des Wissenschaftlerteams zeigen, enthalten moderne Weizensorten insgesamt etwas weniger Eiweiß als alte. Der Glutengehalt blieb dagegen über die letzten 120 Jahre konstant, wobei sich die Zusammensetzung des Glutens jedoch leicht veränderte. Während der Anteil der kritisch gesehenen Gliadine um rund 18 Prozent sank, stieg im Verhältnis der Gehalt der Glutenine um etwa 25 % an.
Es sei darüber hinaus angemerkt, dass die Menge an Gluten für Menschen, die an Zöliakie leiden, keine maßgebliche Rolle spielt, bereits kleine Mengen können hier Beschwerden auslösen. Bei der Weizenallergie sind andere Proteine maßgeblich und bei der „Sensitivität“ ist ein Zusammenhang noch nicht ausreichend erforscht, sodass auch diese Aussage nicht haltbar ist.
Einen ausführlichen Faktencheck zu „Weizenmythen“ finden Sie unter: https://www.mein-mehl.de/mehlblog/nachricht/faktencheck-weizen-macht-das-getreide-wirklich-dick-dumm-und-traege/. Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch die aktuelle wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema in dem Beitrag „Macht Weizen dick?“ von Brouns et al in der Zeitschrift Getreide, Mehl und Brot 3/2021.
Zusammenfassung
Weizen hat nicht nur als die zweitwichtigste Getreideart für die Versorgung der Weltbevölkerung eine besondere Bedeutung, sondern auch aufgrund seiner ernährungsphysiologisch vorteilhaften Zusammensetzung mit einem hohen Ballaststoff- und Eiweißanteil sowie beträchtlichen Gehalten an einigen B-Vitaminen und Mineralstoffen wie Eisen, Zink, Kalium und Magnesium, insbesondere bei Vollkornprodukten. Daneben haben auch weizenfreie Produkte ihre Daseinsberechtigung und stellen einen wichtigen Beitrag zur Ernährung von Menschen mit den oben genannten Krankheitsbildern dar. In der Werbung sollte der Fokus insoweit auf den eigenen positiven Eigenschaften des beworbenen Produktes liegen, anstatt auf Fehlinformationen für ein negatives Image der Konkurrenz zurückzugreifen. So können Weizenmythen auch für Verbraucher ausgeräumt und eine gesunde und nachhaltige Ernährung gefördert werden. Ebenfalls können durch ein faires Wettbewerbsverhalten Auseinandersetzungen mit Wettbewerbshütern im Rahmen von Abmahnungen, mögliche Vertragsstrafen oder gar Schadensersatz vermieden werden.