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Dr. Peter Stolz, Diplom Ernährungswissenschaftler mit Promotion am Institut für Lebensmitteltechnologie an der Universität Stuttgart Hohenheim zum Thema Sauerteig. Von 1995 – 2002 arbeitete er bei der Ernst BÖCKER GmbH als Leiter F&E und QS. Ab 2006 dann als Leiter Geschäftsentwicklung, Anwendungstechnik und technischer Verkauf. In der Zeit von 2002-2006 arbeitete er bei CSM als Leiter des Kompetenz-Centers Bread Ingredients.
Die Langzeitführung mit aktiven Betriebssauerteigen oder inaktiven Sauerteigen bringt zahlreiche Vorteile mit sich, sowohl für die Qualität der Backwaren als auch für die Betriebsabläufe in den Bäckereien. Wertvolle Tipps weisen darauf hin, was dabei zu beachten ist.
Die Langzeitführung, zu der auch die Gärverzögerung und Gärunterbrechung gehören, ist eine Teigführungsart zur Herstellung von Teiglingen, speziell von Brot und Kleingebäck aller Art. Bei der Langzeitführung geht es nicht um die Führung von Hefevorteigen oder Sauerteigen, sondern um die Verlängerung der Gärprozesse des gesamten Teiges oder des bereits geformten Teiglings, in der Regel unter kühleren Bedingungen (bei 4-12 °C). Diese Herstellungsweise erlaubt vor allem Handwerksbäckern und Filialbäckereien eine zeitlich flexible Arbeitsweise sowie eine bedarfsgerechte Herstellung der Backware. Speziell wenn Sauerteig für die Herstellung verwendet wird, wirkt sich dies positiv auf Textur, Frischhaltung, Aroma und Geschmack aus.
Langzeitführungen sind Verfahren, die bestens geeignet sind, qualitativ hochwertige Brote mit einem ausgeprägten Aromaprofil herzustellen. Langzeitgeführtes Brot und Kleingebäck mit Sauerteig kann sich durch eine deutlich längere Frischhaltung auszeichnen, vor allem wenn man das Verfahren nutzt, um auch höhere Teigausbeuten zu realisieren. Die Möglichkeiten, inaktive „ready-to-use“ Sauerteigprodukte oder aktive Betriebssauerteige in die Rezepturen und Prozessabläufe zu integrieren, sind vielfältig, man sollte aber die Vor- und Nachteile von aktiven und inaktiven Sauerteigen in den unterschiedlichen Langzeitführungsmethoden kennen und berücksichtigen, um tatsächlich Premiumqualitäten herstellen zu können.
Darüber hinaus bieten Langzeitführungen die Möglichkeit, Produktionsabläufe in backenden Betrieben flexibler zu gestalten. Der anhaltende Fachkräftemangel erfordert ein Umdenken in der Bäckerwelt. Durch Verfahren wie die Langzeitführung kann Nachtarbeit reduziert werden, da einige Herstellungsschritte auf den Tag verlagert werden können. So können Bäcker für eine größere Mitarbeiterzufriedenheit in ihren Betrieben sorgen. Allein aus diesem Grund macht es Sinn, sich intensiver mit der Thematik von Langzeitführungen zu beschäftigen.
Langzeitführung ist nicht gleich Langzeitführung
Angefangen hat alles mit langzeitgeführten Brötchen vor ungefähr
40 Jahren, damals mittels Gärunterbrechung. Heutzutage sind so hergestellte Brötchen Standard in circa 90 Prozent der deutschen Bäckereien. Derzeit sind Langzeitführungen Verfahren mit vielfältigen Möglichkeiten. Auch Brot und Feine Backwaren werden mittlerweile langzeitgeführt hergestellt. Sprechen wir heute von diesen Verfahren, sollte eigentlich sichergestellt sein, dass zeitlich flexibel Premiumgebäcke hergestellt werden und der gesamte Teig (beziehungsweise Teigling) bei Temperaturen geführt wird, bei denen tatsächlich mehr Quellungsvorgänge, enzymatische sowie Fermentationsprozesse, also mikrobiologische Prozesse, ablaufen können.
Aus praktischen Gründen kann man zwischen zwei Methoden der Langzeitführung unterscheiden:
- Langzeitführungen bei Raumtemperatur über 2 bis 4 Stunden
- Langzeitführungen über 4 bis 16 Stunden über die Kühlung (teilweise auch länger).
In beiden Fällen können entweder aktive Betriebssauerteige oder inaktive „ready-to-use“ Sauerteigprodukte zum Einsatz kommen.
Eine Tiefkühlung der Teiglinge im Anschluss an die Langzeitführung ist in beiden Fällen möglich.
Bei beiden Methoden lassen sich die Vorteile von Sauerteig für die Gebäckqualität nutzen, aber nur die Langzeitführung über die Kühlung bietet ein deutliches Plus an Flexibilität und somit Einsparungsmöglichkeiten für Nachtarbeit sowie mehr Sicherheit für den gesamten Herstellungsprozess.
Sauerteig ist heutzutage, gerade auch bei langzeitgeführten Broten, zu einem wichtigen Qualitätsparameter geworden. Vor allem in der Kommunikation Richtung Verbraucher ein nicht zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil.
Im Folgenden sind die Vorteile der Langzeitführung im Allgemeinen (ohne Sauerteig) und im Fall der Anwendung von Sauerteig aufgeführt:
Vorteile der Langzeitführung über die Kühlung im Allgemeinen
- Arbeiten mit reduzierten Hefemengen, Verlangsamung der Gasbildung
- Verlangsamung der Stückgare durch Absenkung der Teigtemperatur/Kerntemperatur
- Höhere Teigstabilität durch Kühlung
- Längere Verquellzeiten des Mehls, dadurch Vorteile bei der Frischhaltung, besonders in Verbindung mit höheren Teigausbeuten [1]
- Reduzierung der Nachtarbeit / dadurch höhere Mitarbeiterzufriedenheit
- Flexible Bereitstellung gegarter Teiglinge und Abbacken der Teiglinge nach Bedarf
Anmerkung:
Ein wichtiger Aspekt: Wer zu wenig Kühlkapazität in seinem Betrieb hat, kann nicht so flexibel produzieren und kann keine Nachtarbeit einsparen.
Vorteile der Langzeitführung über die Kühlung mit aktivem Betriebssauerteig
- Verbesserte Krumen-Elastizitäten und bessere Schneidbarkeit der Brote durch Sauerteig [2]
- Längere Verquellzeiten des Mehls bei tieferen pH-Werten. Diese fördern die Wasseraufnahme der Pentosane des Mehles, was weitere Vorteile bei der Frischhaltung bringt.
- Für die Herstellung von langzeitgeführten Broten mit aktivem Sauerteig empfiehlt es sich, kleinere Gebäckstücke herzustellen. Sie kühlen schneller ab, dadurch erfolgt eine geringere Nachsäuerung der Teiglinge.
- Roggen- und Roggenmischbrote mit höherem Teiggewicht und höheren Sauerteigmengen sollte man unter Tiefkühlbedingungen „anschocken“, um eine schnelle Absenkung der Kerntemperatur auf <10 °C zu erreichen. In diesem Fall können sogar „normal hohe“ Sauerteigmengen im Brotteig verarbeitet werden (30-50 % versäuerte Roggenmehlmenge).
- Die Triebleistung sollte generell durch Zugabe einer geeigneten Menge Backhefe (0,3-1 %) gesteuert werden.
- Eine weitere Möglichkeit, die Nachsäuerung zu verringern, ist, die Menge an aktivem Sauerteig im Brotteig zu reduzieren, beispielswiese auf 50 % der normal versäuerten Mehlmenge. Die fehlende Säure kann dann über eine geeignete Gärzeit- und Temperatursteuerung nachgebildet werden. Nachteil dieser Methode ist, dass die Fermentation des Brotteiges exakt über die Stehzeit und Temperatursteuerung erfolgen muss, um ein optimales Ergebnis zu erzielen.
- Die Langzeitführung mit Sauerteig ist die Methode der Wahl zur Herstellung von Brot mit vergleichsweise niederem Glykämischen Index (GI) [3]. Aber auch andere positive Einflüsse auf den Nährwert von Brot und Gebäck werden derzeit erforscht. Zum Beispiel ist der Gehalt an FODMAP´s bei langzeitgeführten oder sauerteighaltigen Weizenbroten reduziert und auch Phytinsäure wird (wie bei jeder sauren Führung) abgebaut [4, 5]. Der Abbau von Phytinsäure und die Verstoffwechslung von vergärbaren FODMAP´s durch aktive Sauerteigflora und/oder Backhefe ist natürlich eine Funktion der Stehzeit der Teige, des Sauerteiges und des Brotteiges.
Vorteile der Anwendung von inaktiven Sauerteigen bei Langzeitführungen
- Das Arbeiten mit inaktiven „ready-to-use“ Sauerteigen in der Langzeitführung ist einfacher, sicherer und zeitlich flexibler im Vergleich zur Verwendung von aktivem Sauerteig in der Langzeitführung.
- Inzwischen wird eine Vielzahl an „ready-to-use“ Sauerteigen angeboten, wodurch eine große Auswahl an Aroma- und Geschmacksrichtungen für Brot und Kleingebäck sowie Feine Backwaren zur Verfügung steht.
- Einige Produkte sind insbesondere für die Herstellung von langzeitgeführten mediterranen Brotsorten [6] entwickelt worden.
- Die Mehlverquellung sowie die mehleigenen Enzyme arbeiten von Beginn an im sauren pH-Bereich. Der gewünschte pH-Wert des Brotes kann passend zur Brotsorte/Gebäck durch die richtige Dosierung des Sauerteigproduktes eingestellt werden.
- Die Wasseraufnahme der Pentosane des Mehls ist von Beginn an begünstigt, was die Frischhaltung positiv beeinflusst.
- Eine Nachsäuerung des Brotteiges in der Kühl- und Gärphase ist nicht möglich. Die gewünschten Brot-pH-Werte und Säuregrade werden einfach über die Dosierung eingestellt und verändern sich nicht.
- Die Triebleistung wird nur über die zugegebene Backhefemenge gesteuert.
- Ein zusätzlicher Vorteil von inaktiven „ready-to-use“ Sauerteigen ist die längere Haltbarkeit und die konstante Qualität der Produkte.
Anmerkung:
Für wissenschaftlich belegbare Aussagen zu ernährungsphysiologischen Vorteilen von mit Sauerteig hergestellten Broten sind noch mehr Forschung und medizinische beziehungsweise ernährungswissenschaftliche Studien notwendig.
Zusammenfassung
Die Langzeitführung mit aktiven Betriebssauerteigen oder inaktiven Sauerteigen bringt zahlreiche Vorteile mit sich, sowohl für die Qualität der Backwaren als auch für die Betriebsabläufe in den Bäckereien. Bewährt haben sich vor allem inaktive Sauerteige, die es in Form von „ready-to-use“ Produkten in getrockneter, flüssiger oder pastöser Form gibt. Der Einsatz dieser Produkte bringt zusätzliche Flexibilität in die Betriebe, da diese Sauerteige jederzeit verfügbar sind. Ein wichtiger technologischer Vorteil von inaktiven Sauerteigen gegenüber aktiven Betriebssauerteigen ist, dass keine Nachsäuerung in der Kühl- und Gärphase der Gebäckteiglinge stattfinden kann, wodurch Säuregradschwankungen ausgeschlossen sind.
Langzeitgeführte Brote mit Sauerteig können ernährungsphysiologische Vorteile bieten, die auf den hohen fermentierten Mehlanteil der Brote zurückzuführen sind. Zum Beispiel haben langzeitgeführte Sauerteigbrote einen vergleichsweise niederen glykämischen Index und können unter Umständen auch reduzierte Mengen an FODMAP´s aufweisen (bei langzeitgeführten oder sauerteighaltigen Weizenbroten). Wie bei jeder sauren Führung wird zudem Phytinsäure abgebaut. Die Zukunft wird zeigen, ob sich noch mehr positive Eigenschaften von langfermentierten Sauerteigbroten nachweisen lassen.
Literaturangaben
[1] Gut Ding will Weile haben – Die Langzeitführung mit Sauerteig setzt neue Impulse, S. 10-13Corsetti et.al., 1998
[2] Arendt et.al., 2007, Galle et.al., 2013
[3] Kati Katina et.al., 2005, Kaisa Poutanen, Sept. 2015, 6th Internat. Sourdough Symposium
[4] Ziegler et.al., 2016: Wheat and the irritable bowel syndrome – FODMAP levels of modern and ancient species and their retention during bread making. Journal of Functional Foods 25 (2016) 257-266
[5] Hollmann, Sciurba und Themeier, 2018: FODMAP-Gehalte verschiedener Roggen- und Weizenbackwaren in Abhängigkeit von der Backprozessführung. Vortrag Arbeitsgemeinschaft Getreideforschung e.V., Detmold
[6] Hansen und Schieberle, 2005, Rehmann et.al., 2006