Dem Mehl auf der Spur – Veränderte Mehlqualität und Korrektur durch Backmittel

Foto: © IREKS GmbH

Daniel Wagner, M.Sc. Materialchemie & Katalyse, Produktentwicklung und Analysemethoden, IREKS GmbH, Kulmbach

Christian Weidenhammer, M.Sc. Lebensmitteltechnologie (Food Processing), Produkt­entwicklung und Sensorik, IREKS GmbH, Kulmbach

Beim Begriff der Mehlqualität geht es dem Bäcker vor allem um die Backeigenschaften eines Mehles. Neben den prozessbedingten Einflüssen auf die Qualität – wie das Vermahlen in der Mühle – ist diese auch deutlich von den Wachstumsbedingungen des Getreides sowie den Sorteneigenschaften abhängig. Anhaltende Hitze- oder Feuchtperioden zu kritischen Zeitpunkten des Getreidewachstums oder die Düngemittelverordnung mit Vorgaben für das Einbringen von stickstoffhaltigen Düngemitteln beeinflussen die Qualität ebenfalls. Alle diese Punkte haben sich in den letzten Jahren merklich verändert. Und auch bei Getreide sind diese Veränderungen spürbar.

Für den Backweizen fordert der Getreidemarkt hohe Rohproteingehalte. Um diese sicher zu erreichen, ist ein intensiver Einsatz von Stickstoffdünger unabdingbar. Eine zu hohe Zufuhr stickstoffhaltiger Düngemittel birgt jedoch die Gefahr von Nitratauswaschung ins Grundwasser. Durch die Düngemittelverordnung (Novellierung 2019) wurde die Ausbringung von Düngemitteln neu reguliert. [1] In einer Machbarkeitsstudie des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) und des Verbands der Bayerischen Pflanzenzüchter wurden in Anlehnung an die verschärfte Düngemittelverordnung Weizensorten in drei Stufen gedüngt, die sich um ca. 30 kg Stickstoff/ha unterschieden. [2] Mit sinkender Stickstoffgabe verringerte sich der Ertrag und der Rohproteingehalt sank von durchschnittlich 13,6 % auf bis zu 12,4 %. Die Einbußen beim Gebäckvolumen lagen bei rund 3 %. Gleichfalls reagierten Teigstabilität beziehungsweise Knettoleranz negativ auf die verringerte Düngung. Mit den Einschränkungen der Düngemittelverordnung ist in vielen Regionen der Anbau von qualitativ hochwertigen Weizensorten mit dem Ziel von 13 % Rohproteingehalt schwierig umzusetzen.

Doch was bedeutet eigentlich „Qualität“?

Weizenmehl, Wasser und Hefe sind die drei Grundzutaten für einen Weizenbrotteig. Eine wichtige Funktion im Backvorgang übernimmt die enthaltene Stärke. Diese quillt und verkleistert während des Backens, während die aktivierten mehleigenen Enzyme (hauptsächlich Amylasen) Zuckerstoffe freisetzen. Die Zuckerstoffe werden durch die Hefe verstoffwechselt und das entstandene Kohlendioxid führt zu einer Vergrößerung des Volumens. Diese Zucker sind aber nicht nur Nahrung für die Hefe. Sie sind auch ein wichtiger Bestandteil der Maillard-Reaktion (nicht enzymatische Bräunungsreaktion) bei Backwaren. Durch Hitzebeeinflussung (ab 100 – 120 °C) kommt es zur Bildung von sogenannten Melanoidinen, Reaktionsprodukte aus Zuckerstoffen und Aminosäuren. Diese beeinflussen Geruch, Geschmack und Krustenbräunung sowie die Rösche maßgeblich positiv.

Gebäckvolumen, Gärstabilität und -toleranz stehen sehr eng mit zwei bestimmten Proteinfraktionen des Mehls in Verbindung. Während des Knetvorgangs vernetzen sich die Gliadine, die die sulfidhaltige Aminosäure Cystein enthalten, und Glutenine unter Ausbildung von Disulfidbrücken miteinander und bilden so das Gluten, auch Kleber genannt. Dessen Qualität – besonders hinsichtlich Elastizität und Stabilität – ist für die Backqualität eines Mehles besonders entscheidend. Teig- und Gebäckeigenschaften sind stark vom Feuchtklebergehalt des Mehles abhängig (siehe Tabelle 1 ). [3] Werden die Feuchtklebergehalte unterschiedlicher Erntejahre gegenübergestellt (siehe Abbildung 1), sind ab dem Getreidewirtschaftsjahr 2019/2020 geringere Mengen Feuchtkleber zu verzeichnen. Im Vergleich zu den vorherigen Erntejahren ist ein Abwärtstrend erkennbar. Auch in der Machbarkeitsstudie des StMELF ist die Tendenz der fallenden Rohproteingehalte bei reduzierter Stickstoff-Düngung deutlich erkennbar. [2] Ein geringer Gehalt an Feuchtgluten sorgt für eine schlechtere Wasser­aufnahmefähigkeit des Mehls und für oberflächenfeuchte Teige mit unzureichender Maschinengängigkeit und Gärtoleranz. Die Folgen werden in den Endgebäckstücken offensichtlich: weniger Volumen und eine flachere Form, meist zusammen mit einem unzureichenden Ausbund (siehe Foto unten mit Schnittbrötchen aus Mehlen mit unterschiedlichem Feuchtklebergehalt).

Tabelle 1: Teig- und Gebäckeigenschaften in Abhängigkeit des Feuchtglutengehaltes von Weizenmehl Type 550

Abbildung 1: Feuchtklebergehalt von Weizenmehl der Type 550 in Abhängigkeit vom Getreidewirtschaftsjahr – Stichtag 01. September

Schnittbrötchen aus Mehlen mit unterschiedlichem Feuchtklebergehalt, links im Bild: deutlich weniger Volumen und Ausbund, sowie merklich flacher aufgrund eines niedrigeren Feuchtklebergehalts im Vergleich zum Schnittbrötchen auf der rechten Seite

Auftritt des Backmittels

Bereits bei der Vermahlung durch die Mühle wird durch geeignete Prozessführung (Ablagerung des Mehls, verblenden, egalisieren) versucht, Schwankungen in der Mehlqualität auszugleichen.
Doch diese Maßnahmen sind nur bis zu einem bestimmten Grad zielführend. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird der Einsatz von Backmitteln notwendig, um eine gleichbleibende Backwarenqualität zu gewährleisten. Backmittel helfen, genau diese veränderten Mehlqualitäten auszugleichen. Aber wie genau?
Der im Backmittel enthaltene Weizenkleber erhöht den Feuchtklebergehalt. Allein auf die pure Menge kommt es aber hierbei natürlich nicht an. Für ein optimales Backergebnis muss auch die Qualität des Klebernetzwerkes genau richtig sein. Das ebenfalls natürlicherweise im Mehl vorkommende cysteinhaltige Glutathion greift während der Teigbereitung in die Bildung dieses Netzwerks ein. Aus der Reaktion mit den kleberbildenden Proteinen folgt letztlich eine weniger starke Vernetzung des Klebernetzwerks. Es kommt zu einer Erweichung. Die im Backmittel enthaltene Ascorbinsäure wirkt diesem Umstand entgegen. Durch die beim Knetvorgang entstehende Dehydroascorbinsäure werden die Glutathionmoleküle unter Bildung von Glutathiondisulfid miteinander verknüpft. Das Gluten wird dadurch nicht mehr durch Glutathion geschwächt.
Neben Ascorbinsäure sind auch bestimmte Enzyme in der Lage, zu einer Stabilisierung des Klebernetzwerkes beizutragen. Durch den Einsatz von Xylanasen werden die mehleigenen, langen Molekülketten der wasserunlöslichen Arabinoxylane (Nicht-Stärke-Polysaccharide; Hauptbestandteil pflanzlicher Zellwände) in kleinere, wasserlösliche Fragmente hydrolysiert. Die kleineren Polysaccharidketten sind für die Ausbildung eines stabilen Glutennetzwerkes weniger hinderlich und das Netzwerk wird stabiler. Zusätzlich sind wasserlösliche Arabinoxylane in der Lage, das bis zu 20-fache ihres Eigengewichtes an Wasser aufzunehmen, und erhöhen damit die Viskosität der Teige. Solche Teige verlieren an Klebrigkeit und Oberflächenfeuchte, die Maschinengängigkeit verbessert sich. Ein stabiles Glutennetzwerk wirkt sich positiv auf das Gashaltevermögen aus und somit zählen Xylanasen zu den „wichtigsten Volumenenzymen“.
Mehleigene Enzyme (hauptsächlich Amylasen) haben enormen Einfluss auf die Qualität eines Mehles. Die Fallzahl – als indirektes Maß für die im Mehl vorhandene Amylaseaktivität – liegt bei heutigen Weizenmehlen der Type 550 häufig im Bereich zwischen 300 s – 360 s. In Abhängigkeit der klimatischen Bedingungen im Erntezeitraum sind Fallzahlen von Jahr zu Jahr etwas unterschiedlich. Gibt es kurz vor der Ernte sehr viele Niederschläge, sind die Fallzahlen meist niedriger und die Enzymaktivitäten im Mehl höher. [4] Zu hohe Amylaseaktivitäten können durch die unkontrollierte Spaltung der Stärkepolysaccharide zu schnell nachlassenden Teigen führen. Das Wasserbindungsvermögen der Stärke sinkt und in der Teigmatrix gebundenes Wasser wird wieder freigesetzt. Das führt zu feuchteren Teigen, klebrigen Krumen im Endgebäck, bis hin zum vollständigen Abbacken der Kruste. Insbesondere bei der Nutzung von Maschinen zur Teigverarbeitung wirken sich klebrige, feuchte Teige stark negativ aus.
Fällt vor der Ernte recht wenig Niederschlag oder ist das Getreide gar länger anhaltenden Trockenperioden ausgesetzt gewesen, sind die Fallzahlen hoch und es ist eine geringere Enzymaktivität im Mehl vorhanden. [4] Zu enzymschwache Mehle neigen aber zum Nachsteifen, sind triebschwach und führen zu kleinen, sehr hellen Gebäcken mit hart-splittrigen Krusten und schlechtem Ausbund. Zudem ist die Frischhaltung beeinträchtigt.

Der Einsatz von Backmitteln ermöglicht eine Optimierung in beide Richtungen. Enzymaktive Malzmehle oder reine α-Amylase-Enzympräparate ermöglichen eine Anpassung der Fallzahlen hin zu kleineren Werten. Die durch den enzymatischen Abbau entstehenden Mono- und Disaccharide fördern neben der Gebäckbräunung auch die Triebleistung der Hefe. Die Enzyme werden nicht „verbraucht“, sondern verlieren erst durch Denaturierung beim Backen ihre funktionelle Wirkung. Durch den Einsatz von Sauerteigen und/oder Säureregulatoren lässt sich der pH-Wert des Teiges anpassen und die Enzymaktivität hemmen. Gerade bei langen Teigführungen ist die Regulierung und Kontrolle der Enzymtätigkeit im Teig immens wichtig – so kann ein zu starker Abbau der Stärke verhindert werden.

Zusammenfassung

Letztlich ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Bausteine des Mehles während der Teigbereitung und des Backens durchaus komplexer, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die vorherigen Absätze sind dabei nur ein kleiner Auszug des Ganzen. Kurz zusammengefasst lässt sich an dieser Stelle festhalten: Bei Änderungen in der Zusammensetzung oder Beschaffenheit bestimmter Inhaltsstoffe des Mehles werden zwangsläufig auch Veränderungen in den Backergebnissen auftreten. Konkret lässt sich durch die weitere Begrenzung von stickstoffhaltigen Düngemitteln bereits jetzt ein Trend zu reduzierten Rohproteingehalten in den Weizensorten erkennen. Hierbei sinken natürlich auch die Feuchtklebergehalte. Unabhängig davon nehmen die Wetterbedingungen Einfluss auf die Enzymaktivität des Mehles.
Mithilfe von Backmitteln werden schwankende Mehlqualitäten gezielt optimiert, sodass auch bei sich verändernden Mehlqualitäten Backwaren mit konstanter Produktqualität hergestellt werden können.
Übrigens: Auch Backmittel unterliegen stetigen Veränderungen, da sie immer wieder an die aktuelle Mehlqualität angepasst werden müssen.

 

Quellen

[1] https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/pflanzenbau/ackerbau/duengung.html#doc12312bodyText2, zuletzt aufgerufen am 28.04.2023
[2] Zusammenfassender Bericht zur Versuchsserie 103 Qualitätsweizenanbau unter den Bedingungen der novellierten Düngeverordnung¸ Machbarkeitsstudie Treibhausgas-optimierte Qualitätsweizenproduktion – Qualitätsmehl mit hoher Kleberqualität und geringem Stickstoffdüngereinsatz durch Züchtung und Produktionstechnik; Projektförderung: Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (StMELF) und Verband der Bayerischen Pflanzenzüchter
[3] IREKS GmbH (2021), Kompendium der Bäckereitechnologie (1. Aufl.), mgo360 GmbH & Co KG
[4] Determination of the influence of climate on falling number of winter wheat in the dryland production areas of the Free State Province of South Africa, Barnard A., Smith M.F., 2012

 

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