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Hanna Neumann, M.Sc. Ernährungsökonomie und Marketing, PR & Communications Managerin, Zeelandia GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main
Der Nutri-Score wird zur Kennzeichnung von verpackten Waren im Lebensmittelhandel verwendet und soll Verbrauchern eine Orientierung bei der täglichen Lebensmittelauswahl bezüglich der enthaltenen Nährwerte geben. In Deutschland wurde das Siegel im Herbst 2020 eingeführt. Seit Januar 2024 wird ein überarbeiteter Nutri-Score angewendet – mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren. Die in Kraft getretenen Änderungen stellen unter anderem Hersteller von Backwaren vor neue Herausforderungen, da manche Gebäcke auf der veränderten Berechnungsgrundlage heruntergestuft wurden.
Eine immer weiter steigende Produktvielfalt erschwert die Entscheidung vor dem Lebensmittelregal. Das Nährwert-Kennzeichen Nutri-Score liefert Informationen über den Gesamtnährwert eines Lebensmittels und soll den Verbrauchern Hilfestellung und Orientierung beim täglichen Lebensmitteleinkauf geben. Damit es einfacher wird, eine bewusste Auswahl für eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu treffen, wurde das von unabhängigen Wissenschaftlern entwickelte Nährwert-Kennzeichen in Deutschland im Herbst 2020 eingeführt und kann von Unternehmen auf freiwilliger Basis verwendet werden.
Langfristig sollen dadurch ernährungsbedingte Krankheiten wie Adipositas oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen reduziert werden. Der Nutri-Score soll Konsumenten dabei helfen, dass Lebensmittel einer Produktgruppe bezüglich ihres Nährwerts einfach und auf einen Blick miteinander verglichen werden können. Somit soll die Produktvariante mit dem günstigsten Gesamtnährwert zu erkennen sein. Dafür werden Lebensmittel anhand einer fünfstufigen Buchstabenskala (A bis E) eingeteilt, die farblich ähnlich einer Ampel von grün bis rot unterlegt ist. Umgangssprachlich wird das Siegel deshalb auch als Lebensmittel-Ampel bezeichnet. Das dunkelgrüne A steht dabei für eine eher vorteilhafte, das rote E für eine ungünstigere Nährstoffzusammensetzung. Das Kennzeichen wird gut sichtbar auf der Vorderseite der Produktverpackung abgebildet. Der zugrunde liegende Algorithmus, der als Berechnungsgrundlage dient, bewertet neben dem Energiegehalt ernährungsphysiologisch positive Bestandteile wie Ballaststoffe, Proteine sowie den Anteil an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen und ausgewählten pflanzlichen Speiseölen. Auf der anderen Seite werden weniger positive Nährstoffe wie Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz miteinbezogen. Dafür werden Minus- und Pluspunkte vergeben. Die Gesamtpunktzahl des Lebensmittels ergibt sich aus der Summe der Pluspunkte der weniger erwünschten Nähr- und Inhaltsstoffe abzüglich der Minuspunkte der erwünschten Nähr- und Inhaltsstoffe. Je geringer die Gesamtpunktzahl, umso höher ist der Nährwert des Produkts.
Änderungen bei festen Lebensmitteln
Im Hinblick auf eine einheitliche Verwendung des Nutri-Scores der beteiligten Länder auf europäischer Ebene und auf Grundlage neuester wissenschaftlicher Evidenz sowie Rückmeldungen der teilnehmenden Akteure wurde der Algorithmus des Kennzeichens weiterentwickelt und optimiert. Die Anpassungen traten zum Januar 2024 in Kraft und gewähren den beteiligten Unternehmen eine Übergangsfrist von zwei Jahren, um die Kennzeichnung ihrer Produkte auf den weiterentwickelten Algorithmus umzustellen. Diese Frist soll auch verhindern, dass bereits produzierte Waren infolge der Umstellung umetikettiert oder gar vernichtet werden müssen. Der revidierte Algorithmus gilt grundsätzlich für alle Lebensmittel gleichermaßen, die in den Anwendungsbereich des Nutri-Scores fallen. Der Einfluss der weiterentwickelten Berechnungsgrundlage auf die durchschnittliche Bewertung der verschiedenen Lebensmittelkategorien kann jedoch unterschiedlich groß sein. Bei festen Lebensmitteln werden Nüsse und Öle bei der Komponente „Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, Raps-, Walnuss- und Olivenöl“ entfernt. Daher bleiben Zutaten wie Walnüsse oder Olivenöl bei diesem Parameter unberücksichtigt. Bei der Bepunktung und der Referenzwerte der enthaltenen Nähr- und Inhaltsstoffe gab es folgende Änderungen:
- Energie: Der Kaloriengehalt eines Lebensmittels fließt zukünftig in der Einheit kJ in die Berechnung mit ein (vorher war dieser in kcal angegeben).
- Zucker: Absenkung des Referenzwertes auf 90 g und Erhöhung der Maximalpunktzahl für den Zuckergehalt auf 15 Punkte.
- Salz: Ausschlaggebend zur Bepunktung des Salzgehaltes ist künftig der Gehalt an Salz und nicht mehr der Gehalt an Natrium, wodurch die Umrechnung von Natrium in Salz entfällt. Zusätzlich wird die Maximalpunktzahl für den Salzgehalt auf 20 Punkte erhöht.
- Ballaststoffe: Anhebung des Referenzwertes für Ballaststoffe auf 30 g. Erhöhung des Mindestgehaltes an Ballaststoffen, der zur Punktevergabe vorliegen muss, auf 3 g.
- Protein: Anhebung des Referenzwertes für Protein auf 64 g und Erhöhung der Maximalpunktzahl für den Proteingehalt auf 7 Punkte. Der Mindestgehalt an Proteinen, der zur Punktevergabe vorliegen muss, erhöht sich auf 2,4 g.
Zusätzlich werden die Punkte für den Proteingehalt nur noch berücksichtigt, wenn die vergebene Gesamtpunktzahl für ungünstige Inhaltsstoffe ≤ 11 ist. Zudem wurde der Schwellenwert zwischen der A/B Bewertung auf 0/1 Punkte angepasst.
Auswirkungen auf Backwaren
Die Weiterentwicklung des Nutri-Scores stellt die Lebensmittelproduktion und auch die Hersteller von Backwaren vor neue Herausforderungen. Aufgrund der neuen Bewertungsmatrix werden etliche Produkte um ein bis zwei Stufen herabgesetzt, was bei einigen Herstellern für Kritik gesorgt hat. Die Herabstufung liegt vor allem an den strikteren Anforderungen bei den Gehalten an Zucker und Salz: Lebensmittel mit vergleichsweise hohem Zucker- und Salzgehalt werden gemäß den allgemeinen Ernährungsempfehlungen weniger günstig eingestuft als bisher. Auch die angepasste Bewertung von Ballaststoffen fließt hier mit ein, denn um einen positiven Effekt auf den Nutri-Score zu erzielen, wird ein deutlich höherer Gehalt erforderlich sein, da der Algorithmus Ballaststoffe erst ab einem Schwellenwert von 3 g je 100 g berücksichtigt.
Exemplarisch lässt sich der Unterschied zwischen dem alten und neuen Algorithmus anhand eines brotähnlichen, saatenreichen Gebäcks mit Flocken zeigen. Nach der alten Berechnungsmethodik hätte das Produkt mit einer Gesamtpunktzahl von 2 eine Kennzeichnung mit Nutri-Score B erhalten. Der neue Algorithmus führt dazu, dass es mit einer Gesamtpunktzahl von 9 nur noch am ganz unteren Ende von Nutri-Score C angesiedelt ist. Die veränderte Bepunktung sieht man beim Zucker- und Fettgehalt (jeweils 1 Pluspunkt mehr). Jedoch den größten Effekt hat die Änderung, dass die Punkte für den Proteingehalt nur noch berücksichtigt werden, wenn die vergebene Gesamtpunktzahl für ungünstige Inhaltsstoffe ≤ 11 ist. Dies ist in unserem Beispiel mit 14 Punkten nicht gegeben. Deswegen gehen die vorhergehenden 5 Minuspunkte für den Proteingehalt nicht mehr in die Gesamtpunktzahl mit ein.
Um Rezepturen so zu reformulieren, dass der bisher erreichte Nutri-Score eines Produkts erhalten bleibt oder um Neuprodukte mit gutem Nutri-Score in dunkel- oder hellgrün zu entwickeln, sind deshalb aufseiten der Hersteller Überarbeitungen und kreative Lösungen gefragt. Als mögliche Ansätze zur Erreichung eines günstigeren Nutri-Scores werden die Reduktion von Salz, Zucker und gesättigten Fettsäuren oder auch die Anreicherung mit Proteinen und Ballaststoffen genannt. Den entscheidendsten Einfluss hat jedoch nach wie vor die Anpassung des Salzgehalts. Diesen Weg wird nun auch die eine oder andere Großbäckerei verfolgen, die von den Änderungen des Algorithmus betroffen ist. Durch Reduzierung des Salzgehaltes können die bislang guten Bewertungen von A und B beibehalten werden. Bei unserem Beispiel des saatenreichen Gebäcks mit Flocken müsste der Salzgehalt im Endgebäck von 1,04 g auf ≤ 0,6 g reduziert werden – mit natürlich deutlichen Veränderungen im Geschmack. Ein weiterer, positiver Effekt auf den Nutri-Score könnte durch die Reduzierung des Zuckergehalts erzielt werden. Dieser müsste im Endgebäck bei ≤ 3,4 g liegen, um einen weiteren Pluspunkt einzusparen. Durch eine Anpassung der gesättigten Fettsäuren auf < 5 g im Endgebäck würde ein weiterer Pluspunkt eliminiert werden können. Somit ließe sich eine Gesamtzahl von 11 oder kleiner bei den ungünstigen Pluspunkten erreichen und die Minuspunkte für den Proteingehalt würden somit in die Bewertung einfließen können. Die angewendeten Maßnahmen würden mit einer Gesamtpunktzahl von 0 sogar zu einem dunkelgrünen Nutri-Score A führen. Dies alles ist aber − wenn überhaupt − nur durch aufwendige Rezepturänderungen zu erreichen. Das eine oder andere Unternehmen hat bereits angekündigt, in Zukunft auf die Angabe des Nutri-Scores zu verzichten.
Zusammenfassung
Der Nutri-Score hat sich als Nährwert-Kennzeichnungsmodell bei verpackten Lebensmitteln als Ergänzung zur Zutatenliste und Nährwert-Tabelle etabliert. Eingeführt im Herbst 2020, wurde der Algorithmus zur Berechnung des Nutri-Scores auf Basis neuer ernährungsphysiologischer, wissenschaftlicher Erkenntnisse und Rückmeldungen aus der Praxis überarbeitet. Seit Januar 2024 gilt diese neue Berechnungsmethodik und stellt auch die Produzenten von Backwaren vor neue Herausforderungen. Durch die Anpassungen – vor allem striktere Kriterien bei den Gehalten von Zucker und Salz – wurden zahlreiche Produkte herabgestuft. Um Rezepturen so zu verändern, dass der bisher erreichte Nutri-Score eines Produkts erhalten bleibt oder um Neuprodukte mit günstigem Nutri-Score in dunkel- oder hellgrün zu entwickeln, sind bei den Herstellern umfassende Überarbeitungen gefragt. Dafür gewährt die Politik eine Übergangsfrist von 2 Jahren. Mögliche Ansätze sind die Reduktion von Salz, Zucker und Fett oder auch die Anreicherung mit Proteinen und Ballaststoffen. Ein deutlicher Kritikpunkt der Hersteller bezüglich der Änderungen des Algorithmus war, dass sie vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Deshalb sollen Unternehmen und Verbraucherverbände künftig noch stärker in die Arbeit am Nährwert-Kennzeichnungsmodell Nutri-Score eingebunden werden.
Quellen:
[1] ABZonline.de, Mehr Einfluss auf den Nutri-Score, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[2] Bäckerhandwerk.de, Neuer Nutri-Score ab 2024, zuletzt geprüft am 26.04.2024
[3] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Nutri-Score, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[4] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Hilfestellung für Unternehmen – Einführung des Nutri-Score, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[5] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Wissenschaftliche Weiterentwicklung des Nutri-Score-Algorithmus, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[6] Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Übersicht zu den Änderungen bei der Berechnung des Nutri-Score für allgemeine/feste Lebensmittel; LMIV (Lebensmittelinformations-Verordnung); HCVO (Health-Claims-Verordnung), zuletzt geprüft am 23.04.2024
[7] Lebensmittelzeitung.net, Warum Berief Food als erstes Unternehmen auf den Nutri-Score verzichtet, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[8] Techniker Krankenkasse, Ernährungsstudie „Iss was Deutschland“, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[9] Verbraucherzentrale.de, Nutri-Score: Das bedeutet die Kennzeichnung, zuletzt geprüft am 29.04.2024
[10] WebBaecker.de, Der neue Nutri-Score – Kreative Lösungen sind gefragt, zuletzt geprüft am 23.04.2024
[11] Webbaecker.de, Nutri-Score: Unternehmen und Verbände sollen mehr Gehör finden, zuletzt geprüft am 23.04.2024