Hier schreiben meyer.rechtsanwälte darüber, was in der Welt des Lebensmittelrechts vor sich geht. Was gibt es Neues? Was gilt es zu beachten? Und welche Kuriositäten gibt es zu berichten?
Sophia Paravicini, Junior Consultant, meyer.science GmbH
Polina Schnur, Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Lebensmittelrecht
Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Lebensmittelrecht
Mikrobiologische Kriterien für tiefgefrorene Konditoreiprodukte
Die europäische Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 über mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel sorgt immer wieder für Fragen. Die richtige Anwendung der dort genannten Lebensmittelkategorien, nämlich welche Lebensmittelsicherheitskriterien zu welchem Zeitpunkt einzuhalten sind und die durch entsprechende Fußnoten konkretisierten Feinheiten zu diesen Themen lassen scheinbar unterschiedliche Auffassungen zu. Werden in tiefgefrorenen Konditoreiprodukten beispielsweise Listerien nachgewiesen, stellen sich daher sehr spezifische Fragen.
Ausgangslage
Tiefgefrorene Konditoreiprodukte werden Verbrauchern meist in Form von fertigen Kuchen und Torten in allen Größen und Formen angeboten. Weiterhin greifen reine Aufback-Geschäfte und -Abteilungen im Einzelhandel darauf zurück, um Konditoreiprodukte auch ohne eigenen Konditor anbieten zu können. Dieser Artikel befasst sich mit gefüllten und verzierten feinen Backwaren, die nach dem Backen mit diversen Füllungen (beispielsweise Sahne,- Creme- und Obstfüllungen), Glasuren und Verzierungen weiterverarbeitet und tiefgefroren werden. Verbraucherseitig sind diese Produkte wegen der empfindlichen Füllungen und Verzierungen nur bei Raumtemperatur oder im Kühlschrank aufzutauen.
Aus mikrobiologischer Sicht sind solche feinen Backwaren mit nicht durcherhitzten Füllungen, Glasuren oder Verzierungen grundsätzlich anfällig, da nach dem Backen kein weiterer Verarbeitungsschritt zur Abtötung von Mikroorganismen erfolgt. An Hersteller stellen sich daher hohe Anforderungen an die Qualitätssicherung, um die Lebensmittelsicherheitskriterien der VO (EG) Nr. 2073/2005 sicherzustellen. Die einzuhaltenden Kriterien richten sich wie im Beispiel der potenziell pathogenen Listeria monocytogenes nach den Wachstumsbedingungen, die das Produkt dem Mikroorganismus bietet.
Wachstumsbegünstigend oder nicht?
Anhang I Kap. 1 der VO (EG) Nr. 2073/2005 unterscheidet dabei zwischen verzehrfertigen Lebensmitteln, die die Vermehrung von L. monocytogenes begünstigen können (Kategorie 1.2.) und solchen, die die Vermehrung von L. monocytogenes nicht begünstigen können (Kategorie 1.3).
Tiefgefrorene Konditoreiprodukte gelten als „verzehrfertig“, da sie vor dem Verzehr lediglich aufgetaut werden, denn „verzehrfertige Lebensmittel“ sind solche, die „zum unmittelbaren menschlichen Verzehr bestimmt sind, ohne dass eine weitere Erhitzung oder eine sonstige Verarbeitung zur Abtötung der entsprechenden Mikroorganismen […] erforderlich ist“ (Artikel 2 lit. g der VO (EG) Nr. 2073/2005).
Um zu entscheiden, ob ein Lebensmittel in Kategorie 1.3 eingeordnet werden kann und damit als nicht wachstumsbegünstigend gilt, gibt die VO definierte Kriterien vor (Fußnote 8 in Anhang I Kap. 1, Ziffer 1.3):
- pH-Wert von ≤ 4,4 oder aw-Wert(1) von ≤ 0,92,
- pH-Wert von ≤ 5,0 und aw-Wert von ≤ 0,94;
- Haltbarkeitsdauer von weniger als 5 Tagen
Gemäß VO (EG) Nr. 2073/2005 gilt für die beiden Kategorien (1.2 sowie 1.3) zunächst dasselbe Lebensmittelsicherheitskriterium, welches besagt, dass in Verkehr gebrachte Erzeugnisse während der Haltbarkeitsdauer 100 KBE(2) Listerien/g nicht überschreiten dürfen.
Zusätzlich gilt eine Nulltoleranz für verzehrfertige Lebensmittel, die die Vermehrung von L. monocytogenes begünstigen können (Kategorie 1.2). Bevor das Lebensmittel die unmittelbare Kontrolle des Lebensmittelunternehmers, der das Lebensmittel hergestellt hat, verlässt, dürfen in fünf Stichproben keine Listerien nachweisbar sein. Fußnote 7 präzisiert dabei, dass die Nulltoleranz dann gilt, „wenn [der Hersteller] nicht zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde nachweisen kann, dass das Erzeugnis den Grenzwert von 100 KBE/g während der gesamten Haltbarkeitsdauer nicht überschreitet“. Spiegelbildlich gilt die Nulltoleranz eben nicht, wenn der Hersteller nachweisen kann, dass die 100 KBE/g während der gesamten Haltbarkeitsdauer eingehalten werden.
Der EuGH (Urteil v. 30.06.2022, C-51/21) stellte jedoch jüngst klar, dass der Behörde ein weites Ermessen zusteht, um die Einhaltung der VO (EG) Nr. 2073/2005 zu überprüfen. Daher kann eine Behörde als „geeignete Maßnahme“ i.S.d. Art. 14 Abs. 8 BasisVO 178/2002 die Nulltoleranz anwenden, wenn Listerien unter 100 KBE/g in einem bereits in den Verkehr gebrachten Lebensmittel nachgewiesen werden und der Hersteller nicht „zur Zufriedenheit der Behörde“ nachweisen kann, dass das Erzeugnis während der gesamten Haltbarkeitsdauer den Wert von 100 KBE/g nicht übersteigt.
Haltbarkeitsdauer
Der Hersteller muss sicherstellen, dass Lebensmittel die in Anhang I der VO (EG) Nr. 2073/2005 aufgeführten mikrobiologischen Kriterien einhalten. Dazu treffen die Lebensmittelunternehmer entsprechende Maßnahmen, um unter anderem zu gewährleisten, dass „die während der gesamten Haltbarkeitsdauer der Erzeugnisse geltenden Lebensmittelsicherheitskriterien unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen für Vertrieb, Lagerung und Verwendung eingehalten werden“ (Art. 3 Abs. 1 lit. b VO (EG) Nr. 2073/2005).
Bei tiefgefrorenen Konditoreiprodukten sind das Auftauen und die verbleibende Haltbarkeitsdauer nach dem Auftauen Teil der Bedingungen seiner Verwendung. Daher muss bei der Prüfung der Lebensmittelsicherheitskriterien die gesamte „Lebensdauer“ des Lebensmittels berücksichtigt werden: gefrorener Zustand, das Auftauen und die Haltbarkeit im aufgetauten Zustand. Während dieser gesamten Zeit muss der Grenzwert von 100 KBE/g einhalten werden.
Demnach gilt für ein aufgetautes Konditoreiprodukt auch nicht die in Fußnote 8 definierte Ausnahme für „Erzeugnisse mit einer Haltbarkeitsdauer von weniger als 5 Tagen“, da die gesamte Haltbarkeitsdauer auch die Zeit einschließt, in der das Produkt gefroren ist. Diese ist üblicherweise deutlich länger als 5 Tage und kann bis zu 12 Monate betragen.
Was ist nachzuweisen?
Bei einem Befund, aber auch zur Festlegung interner Kontrollpunkte, muss dargelegt werden können, dass 100 KBE/g nicht überschritten werden. Dies gelingt über die richtige Einordnung nach den Kategorien 1.2 oder 1.3 anhand der obigen Kriterien. Für eine Zuordnung zu Kategorie 1.3 (nicht wachstumsbegünstigend) müssen entsprechende Produktparameter (pH, aw) dokumentiert werden, gegebenenfalls auch für einzelne Produktbestandteile (Füllung).
Alternativ kann durch einen Challengetest dargelegt werden, dass sich Mikroorganismen unter Beachtung der Auftauhinweise und der verbleibenden Haltbarkeitsdauer nicht vermehren können.
Dies ist nach Fußnote 7 auch „zur Zufriedenheit der zuständigen Behörde“ nachzuweisen, die andernfalls auch das Nulltoleranzkriterium anwenden kann.
(1) Wasseraktivität
(2) Koloniebildende Einheit