Hier schreiben meyer.rechtsanwälte darüber, was in der Welt des Lebensmittelrechts vor sich geht. Was gibt es Neues? Was gilt es zu beachten? Und welche Kuriositäten gibt es zu berichten?
Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer, Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Lebensmittelrecht mit allen seinen Facetten wie Produktentwicklung, Kennzeichnung und Health Claims, Risk Assessment und Krisenmanagement.
Stigmatisierung wegen Hygienemängeln
Die Feststellung von Hygienemängeln in Betrieben durch Lebensmittelbehörden und die gegebenenfalls nachfolgenden Veröffentlichungen sind ein Dauerbrenner in der Rechtsprechung.
Mängel des Hygienemanagements, wie unzureichendes Putzen von Arbeitsflächen, Maschinen, das Verlottern lassen mit Altverschmutzungen, gar Mäuse und Kakerlaken, können nicht nur zu behördlichen Anordnungen oder Sanktionen führen, sondern auch vor aller Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Das Instrumentarium hierfür ist § 40 Abs. 1a Nr. 3 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB).
Danach kann die zuständige Behörde bei Nichteinhaltung hygienischer Anforderungen, gegen die in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist, die Öffentlichkeit hierüber informieren, unter Nennung des Lebensmittels sowie des Lebensmittelunternehmens, unter dessen Namen das Lebensmittel hergestellt oder behandelt wurde oder in den Verkehr gelangt ist.
Baden-Württemberg stellt hierfür ein eigenes Webportal zur Verfügung, unter „verbraucherinfo-bw.de“. Unter „Lebensmittelkontrolle“ können dort, nach Regierungsbezirken und Landkreisen sortiert, die geouteten Betriebe eingesehen werden, in der Mehrzahl, man ahnt es, Dönerbuden und Pizzerien, aber auch der Handel, Metzgereien und auch nicht wenige Bäckereien. Es werden nicht nur detailbeflissen die jeweiligen Beanstandungen gelistet, sondern auch drakonische Maßnahmen, wie das (vorübergehende) Schließen einer Bäckerei und die Öffnung derselben erst nach gründlicher Grundreinigung, Desinfektion und Schädlingsbekämpfung.
Auch Hessen stellt hierfür ein „verbraucherfenster.hessen.de“ zur Verfügung, mit einer „Hygienemängel-Plattform“, die die kommunalen Lebensmittelüberwachungsbehörden mit Inhalten bestücken. Eigene Portale haben zudem der Hochtaunuskreis und der Landkreis Fulda.
Dass diese Veröffentlichungen Nachhaltiges nach sich ziehen können, ist naheliegend. Da die Folgen für den Lebensmittelunternehmer existenziell sein können, sind dem behördlichen Handeln rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, die immer wieder ausgelotet werden.
So in einem vor Kurzem veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. September 2024 (1 BvR 1949/24). Dabei ging es um die Güterrechtsabwägung der Informationsinteressen von VerbraucherInnen einerseits und der Berufsfreiheit der Unternehmen andererseits.
In der Bundestags-Drucksache 19/8349 (S. 19), der amtlichen Begründung zu § 40 LFGB, findet sich der Hinweis, Verzögerungen von mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung wären im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich. Das BVerfG (Beschluss 21.3.2018 – 1 BvF 1/13, Rn. 58) merkte hierzu an, je weiter ein Verstoß zeitlich entfernt sei, desto geringer wäre der Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lasse. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschl. 9.11.2020 – 9 S 2421/20, Rn. 21) stellte fest, mit sinkender Aktualität der Information wäre den hiervon Betroffenen die Veröffentlichung im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz immer weniger zuzumuten.
Nun aktuell hierzu das BVerfG, schon wieder. Hier ging es um Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften, festgestellt bei einem Event-, Catering- und Partyservice. Erfolglos wandte sich das Unternehmen im einstweiligen Rechtsschutz vor Gericht gegen die Veröffentlichung; dieses verwaltungsgerichtliche Eilverfahren nahm 15 Monate in Anspruch. Das BVerfG ordnete am 5.9.2024 an, die zuständige Behörde dürfe bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, keine Informationen über die Ergebnisse der bei der Beschwerdeführerin am 14. Februar 2023 durchgeführten lebensmittelrechtlichen Kontrolle veröffentlichen. Erginge diese Anordnung (des BVerfG) nicht und hätte die Verfassungsbeschwerde später gleichwohl Erfolg, träten durch die absehbare Veröffentlichung der Informationen über das Ergebnis der Kontrolle irreversible Schäden ein, denn der mit der Veröffentlichung einhergehende mögliche Ansehensverlust der Beschwerdeführerin könnte nicht mehr rückgängig gemacht werden. Infolgedessen kann es zu Umsatzeinbußen bis hin zu einer Existenzvernichtung kommen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung, dass die Veröffentlichung einen zeitlich schon weiter zurückliegenden Verstoß beträfe und die Behörde für den Fall, dass die festgestellten Mängel im Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits vollständig beseitigt sein sollten, angekündigt hat, dies entsprechend zu erwähnen. Denn es könne, so das BVerfG, nicht davon ausgegangen werden, dass Einträge über alte Verstöße von Verbraucherinnen und Verbrauchern durchgehend als solche erkannt werden. Im Übrigen käme der veröffentlichten Information aktuell, mithin eineinhalb Jahre nach der Feststellung des Verstoßes, nur noch ein geringer Wert für Konsumentscheidungen und den Gesundheitsschutz zu.
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