Funktionelle Ei-Ersatzsysteme für stabile Qualität und reduzierte Kosten
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Gordon Grimm, Director New Capabilities CSM Core
Steigende Eierpreise, Lieferengpässe und der Wunsch nach pflanzlichen Alternativen stellen die Backbranche vor neue Herausforderungen. Doch was genau leistet das Ei in der Rezeptur – und wie lässt sich seine Funktion gezielt ersetzen?
Die Ausbreitung der Vogelgrippe in den USA und mehreren europäischen Ländern hat die Verfügbarkeit von Hühnereiern erheblich eingeschränkt. In den Vereinigten Staaten mussten bis Januar 2025 über 18,8 Millionen Legehennen gekeult werden – mit spürbaren Folgen für Angebot und Preis. Der Durchschnittspreis für ein Dutzend Eier stieg im März 2025 auf 4,10 US-Dollar – doppelt so viel wie im August 2023 (1, 2). In der Folge baten die US-Behörden europäische Länder, darunter auch Deutschland, um verstärkte Lieferungen (3). Doch auch hierzulande führte die Geflügelpest zu regionalen Engpässen, während der Eierverbrauch mit 249 Stück pro Kopf im Jahr 2024 einen historischen Höchstwert erreichte (4).
Parallel dazu gewinnt der Markt für pflanzliche Alternativen spürbar an Dynamik. Nach aktuellen Prognosen wird das globale Marktvolumen für Ei-Ersatzprodukte von 1,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 auf voraussichtlich 5,2 Milliarden bis 2032 anwachsen – ein deutlicher Indikator für den Wandel (5). Getragen wird dieses Wachstum von drei Megatrends: der Zunahme vegetarischer und veganer Ernährungsweisen, einem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Tierwohl sowie dem steigenden Wunsch nach gesunden und transparent deklarierten Lebensmitteln. Besonders die Generation Z orientiert sich zunehmend an pflanzenbetonter, proteinreicher Ernährung – Ei-Ersatzprodukte gewinnen dabei als funktionelle Superfoods eigenständige Relevanz.
Besonders die Backbranche steht im Zentrum dieser Entwicklung. Feine Gebäcke wie Rührkuchen, Biskuit oder Sandmasse beruhen traditionell auf Hühnerei. Je nach Gebäcktyp und funktioneller Anforderung kommen in der Produktion flüssige oder pulverförmige Eiprodukte zum Einsatz. Der Bedarf an alternativen Systemen, die sowohl technologisch zuverlässig als auch sensorisch überzeugend sind, wächst entsprechend. Voraussetzung für eine fundierte Substitution ist jedoch ein tiefgehendes Verständnis der funktionalen Rolle von Ei in der Rezeptur – insbesondere im Hinblick auf Emulgierfähigkeit, Schaum- und Gelbildung.
Bedeutung von Ei in Backrezepturen
Kaum ein Lebensmittel erfüllt in der Backwarenherstellung eine so vielseitige technofunktionelle Rolle wie das Hühnerei. Seine komplexe Zusammensetzung aus Proteinen und Lipiden (Triglyceride, Phospholipide) macht es zu einer Schlüsselzutat. Die technologische Wirkung von Eiklar und Eigelb erstreckt sich über zentrale Qualitätsmerkmale wie Volumen, Textur, Elastizität und Krumenbildung. Denn Ei erfüllt nicht nur eine, sondern gleich mehrere zentrale Funktionen – etwa als Emulgator, Schaumstabilisator und Gelbildner.
Das Eiklar zeichnet sich durch einen hohen Anteil an strukturgebenden Proteinen wie Ovalbumin aus. Diese ermöglichen beim Aufschlagen eine stabile Schaumbildung, die für luftige, volumenreiche Teige – etwa bei Biskuitmassen oder Soufflés – unverzichtbar ist. Beim Erhitzen ab etwa 80 °C koagulieren diese Proteine und bilden ein thermisch stabiles Netzwerk, das dem Gebäck Struktur und Stand verleiht (6).
Das Eigelb wiederum liefert mit Lecithin (Phosphatidylcholine) und weiteren Phospholipiden natürliche Emulgatoren, die Fett und Wasser dauerhaft zu einer homogenen Masse verbinden. Diese Fähigkeit ist entscheidend für eine gleichmäßige Teigstruktur, feine Porung und elastische Krume. Zudem tragen Carotinoide im Eigelb zur gelblichen Färbung der Krume bei, während Maillard-Reaktionen bei der thermischen Behandlung – insbesondere an der Gebäckoberfläche – für Bräunung und Aromabildung sorgen.
Die Substitution (Reduktion) von Ei stellt kein einfaches Austauschverfahren dar. Sie erfordert eine tiefgehende Analyse der jeweiligen Gebäckanforderungen sowie eine gezielte Auswahl und Kombination funktionaler Ersatzstoffe. Nur so lässt sich die gewünschte Backqualität auch ohne Vollei oder Eiklar dauerhaft gewährleisten.
Technologische Lösungen
Die technologische Substitution von Ei in Backwaren zählt zu den anspruchsvolleren Aufgaben der Rezepturentwicklung. Eine erfolgreiche Reduktion oder Ersetzung setzt ein System voraus, das die vielfältigen Funktionen des Eies in ihrer Wechselwirkung abbildet. Moderne Ei-Ersatzlösungen verfolgen daher einen ganzheitlichen Ansatz. Im Mittelpunkt stehen multifunktionale Mischsysteme aus pflanzlichen Proteinen, funktionellen Kohlenhydraten, modifizierten Stärken sowie ausgewählten Hydrokolloiden. Ihr Zusammenspiel ist entscheidend – denn je nach Rezepturmatrix können Parameter wie Zucker, Fettgehalt oder Wasseraktivität die Wirksamkeit einzelner Komponenten erheblich beeinflussen.
Das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV in Freising untersucht in einem Forschungsprojekt (2019), wie pflanzliche Proteine – einzeln oder in Kombination – gemeinsam mit Hydrokolloiden stabile Gele bilden können. Dabei werden auch rezepturspezifische Einflussfaktoren wie der Saccharosegehalt (Matrixeffekte) berücksichtigt. Ziel ist die Entwicklung einer funktionellen Proteinmischung, die Hühnerei in feinen Backwaren wie Rührkuchen oder Biskuit technologisch ersetzen kann (7).
Mojtahedi und Yilmaz (2025), Zhou et al. (2024) und Yazıcıoğlu (2024) untersuchten innovative pflanzliche und Proteinersatzsysteme für den Ersatz von Ei in Backwaren. Mojtahedi und Yilmaz wiesen nach, dass Ackerbohnen-Aquafaba, wenn es mit Johannisbrotkernmehl schaumgetrocknet wird, das Muffinvolumen und die Funktionalität des Pulvers für die industrielle Verwendung deutlich verbessert. Zhou et al. zeigten, dass ein Gemisch aus Natriumkaseinat, Gerbsäure und Octenylsuccinat-Stärke das Kuchenvolumen und die Textur verbessert, obwohl produktspezifische Anpassungen erforderlich sind. Yazıcıoğlu fand heraus, dass grünes Linsenkochwasser unter optimierten Verarbeitungsbedingungen Ei in Muffins auf Linsenmehlbasis wirksam ersetzen kann und dabei vergleichbare Ergebnisse wie herkömmliche Rezepturen erzielt. Insgesamt unterstreichen diese Studien das funktionelle Potenzial alternativer Zutaten und die Bedeutung einer maßgeschneiderten Verarbeitung für einen erfolgreichen Ersatz von Ei.
Praxislösungen und strategische Potenziale
Alle genannten Studien verdeutlichen: Ei-Ersatz ist kein Produkt, sondern ein Konzept. Es braucht exakt auf die Zielanwendung abgestimmte Rezepturbestandteile, die in Kombination die gewünschte Textur, Volumenleistung und sensorische Qualität erzeugen – nicht als Eins-zu-eins-Ersatz, sondern als technofunktionelle Systemlösung.
Neben der technologischen Umsetzbarkeit rückt in der betrieblichen Praxis zunehmend die Wirtschaftlichkeit in den Fokus. Denn die Volatilität des Eiermarktes stellt nicht nur ein Beschaffungsrisiko dar, sondern beeinflusst auch direkt die Kalkulationssicherheit von Bäckereien und Backwarenherstellern. Hier bietet die gezielte Eierreduktion eine greifbare Möglichkeit, Kosten zu senken – ohne Qualitätseinbußen in Kauf nehmen zu müssen.
Für Handwerks- wie Industriebetriebe ergibt sich daraus ein doppelter Nutzen: Einerseits lassen sich die Rohstoffkosten spürbar reduzieren, andererseits wird der Weg geebnet für neue, pflanzenbasierte Rezepturen, die auf die steigende Nachfrage nach veganen, allergenarmen und deklarationsfreundlichen Produkten einzahlen. Besonders in differenzierungsorientierten Sortimenten – etwa bei Clean-Label-Konzepten oder im Premium-Segment – eröffnen sich neue Spielräume in der Produktpositionierung.
Zusammenfassung
Die Reduktion von Hühnerei in Backwaren ist mehr als eine Reaktion auf Lieferengpässe oder Preisentwicklungen. Sie markiert den Übergang zu einer neuen Rezepturstrategie, in der Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit systematisch zusammengedacht werden. Der technologische Fortschritt erlaubt es inzwischen, pflanzliche Komponenten gezielt so zu kombinieren, dass sie die komplexen Eigenschaften von Ei in definierten Anwendungen ersetzen können – sei es in Rührmassen, Sandkuchen oder Spezialbackwaren.
Jüngste Studien belegen dies eindrücklich: So zeigen Untersuchungen an Ackerbohnen-Aquafaba und grünem Linsenkochwasser das Potenzial pflanzlicher Nebenprodukte zur Schaumbildung und Emulgierung. Weitere Forschungsarbeiten unterstreichen, wie texturgebende Komposite aus Pflanzenproteinen, modifizierten Stärken und Emulgatoren Eiweiß anteilig ersetzen können – mit kontrollierbaren Effekten auf Volumen, Elastizität und Krume. Für die Praxis bedeutet das: Wer die Ei-Reduktion nicht als Notlösung, sondern als strategischen Innovationspfad begreift, sichert sich langfristige Vorteile – sowohl in der Produktqualität als auch in der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Entscheidend ist dabei die Wahl eines Partners, der nicht nur Rohstoffe liefert, sondern anwendungsorientierte Systemlösungen bereitstellt. Die Zukunft gehört nicht dem Ersatz einzelner Zutaten – sondern dem intelligenten Design funktionaler Gesamtsysteme, die auf Marktbedürfnisse ebenso reagieren wie auf die Anforderungen industrieller Prozesse.
Quellen
[1] Food Price Outlook – Summary Findings | Economic Research Service. (o. D.). https://www.ers.usda.gov/data-products/food-price-outlook/summary-findings
[2] Cervantes, F., Jr. (2024, 26. September). Egg prices again on the rise, with a dozen eggs over $3 in August: Is bird flu to blame? USA TODAY. https://www.usatoday.com/story/money/2024/09/25/egg-prices-bird-flu/75385643007/
[3] ZDFheute. (2025, 14. März). Engpass in Amerika: USA bitten in Europa um Eier. ZDFheute. https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/usa-europa-eier-knappheit-vogelgrippe-handelsstreit-100.html
[4] Bundesverband Ei e. V. – Legehennenhalter. (o. D.). https://legehennenhalter.de/bundesverband-ei-e-v/
[5] Allied Market Research, https://www.alliedmarketresearch.com/. (o. D.). Egg Substitutes Market Size, Share, Competitive Landscape and Trend Analysis Report, by Form, by Application, by Distribution Channel : Global Opportunity Analysis and Industry Forecast, 2023-2032. Allied Market Research. https://www.alliedmarketresearch.com/egg-substitutes-market-A13750
[6] Reimerdes, E. H. & Franke, K. (2005). Eiprodukte als funktionelle Bestandteile in Backwaren. Research@Leibniz University. https://www.fis.uni-hannover.de/portal/en/publications/eiprodukte-als-funktionelle-bestandteile-in-backwaren(7d2ec3d9-657a-4b21-bf9a-67b89c842037).html
[7] Pflanzliche Proteine als Eiersatz – Forschungsprojekt. (o. D.). Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV. https://www.ivv.fraunhofer.de/de/lebensmittel/pflanzliche-proteine/pflanzliche-proteine-als-eiersatz.html
[8] Mojtahedi, E. & Yilmaz, H. (2025b). Evaluation of techno-functional properties of fava bean aquafaba powder in vegan muffins: Effects of locust bean gum and foam-mat drying. Food Chemistry X, 26, 102316. https://doi.org/10.1016/j.fochx.2025.102316
[9] Zhou, X., Jiang, Y., Youssef, M., Teng, Y., Li, J., Li, B. & Zhan, F. (2024b). Partial Substitution of Egg White Protein by Sodium Caseinate/Tannin Acid/Octenyl Succinate Starch Composite: A Study on the Physicochemical Properties in Cake and Ice Cream. Journal Of Texture Studies, 55(6). https://doi.org/10.1111/jtxs.12870
[10] Yazıcıoğlu, N. (2023b). Utilization of green lentil wastewater as egg replacer in green lentil flour based muffins. Journal Of Food Science And Technology, 61(8), 1503–1515. https://doi.org/10.1007/s13197-023-05916-8