Nachhaltig Backen – Trester als Backzutat

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Zhanar Sadyk, M. Sc. Lebensmitteltechnologie, freie Fachjournalistin & Gründerin von Food Editorial Solutions

Bei der Verarbeitung pflanzlicher Rohstoffe entstehen Nebenprodukte mit Potenzial: Trester aus Soja, Apfel und Traube verbessern Textur, Frischhaltung und Ballaststoffgehalt von Backwaren – und leisten einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit in der Produktentwicklung.

Mit der Industrialisierung pflanzenbasierter Produkte wie Sojamilch oder Fruchtsäften entstehen weltweit große Mengen ungenutzter Nebenströme – ein bislang unterschätztes Potenzial für die Backwarenentwicklung. Nach Prognosen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird das weltweite Lebensmittelabfallaufkommen bis 2025 auf rund 2,6 Milliarden Tonnen anwachsen – mit jährlichen wirtschaftlichen Verlusten von über 350 Milliarden Euro (1).

Lebensmittelabfälle entstehen meist während der Verarbeitung und gelten als unerwünschte Reststoffe. Lebensmittelverluste hingegen treten entlang der gesamten Lieferkette auf – von Ernte über Lagerung bis hin zum Konsum. Gerade bei der Verarbeitung pflanzlicher Rohstoffe wie Sojabohnen, Äpfeln oder Trauben fallen Nebenprodukte an, die reich an Ballaststoffen, Polyphenolen und pflanzlichem Protein sind – sogenannte Trester. Vor diesem Hintergrund gewinnt ihre gezielte Rückführung in den Lebensmittelkreislauf an Bedeutung. Sie bieten funktionellen Mehrwert, entsprechen Nachhaltigkeitsprinzipien und tragen zur Ressourcenschonung bei.

Soja-, Apfel- und Traubentrester stehen exemplarisch für eine neue Klasse funktioneller Rohstoffe, die sowohl technologische als auch ernährungsphysiologische Vorteile bieten. Der Beitrag fasst aktuelle Forschungsergebnisse sowie anwendungsnahe Lösungen für die Backwarenindustrie zusammen.

Sojabohnentrester (Okara)

Markttrends verstärken diesen Impuls: Der weltweite Sojamilchmarkt betrug 2022 10,3 Mrd. USD und wird sich bis 2030 auf auf geschätzte 16,7 Mrd. USD erhöhen. In Deutschland leben rund 10 % der Bevölkerung vegetarisch oder vegan; über 1,5 Millionen konsumieren regelmäßig pflanzliche Alternativen zu Milch (3). Laut Mintel (2024) bevorzugt die Mehrheit natürliche, nährstoffreiche und wenig verarbeitete Lebensmittel – mit hohem Anspruch an Nachhaltigkeit und Clean Label. Die Wiederverwendung pflanzlicher Nebenprodukte entspricht diesen Anforderungen in besonderem Maße (4).

Okara – der protein- und ballaststoffreiche Pressrückstand aus der Sojamilch- und Tofuherstellung – fällt mit etwa 1,1 bis 1,2 kg (nass) pro Kilo Sojabohnen an. Neben ungesättigten Fettsäuren enthält er wertvolle sekundäre Pflanzenstoffe wie Isoflavone und Phytosterole. Ursprünglich als Futtermittel genutzt, erlebt Okara heute ein Comeback als funktionelle Backzutat. Getrocknet und vermahlen entsteht aus Okara ein feines Mehl mit hoher Wasserbindungskapazität, das die Feuchtigkeit im Teig erhöht und die Gebäcktextur optimiert. Seine viskose Struktur stabilisiert zudem Emulsionen. Einsatzbereiche von Okara: von Brot und Keksen bis hin zu veganen Pancake-Mixen – stets im Spannungsfeld von Nachhaltigkeit, Funktionalität und Genuss.

Plazotta et al. (2022) zeigten, dass Okara kombiniert mit pflanzlichem Öl ein funktionelles Faser-Protein-Netzwerk bildet, das Emulgierfähigkeit erhöht und den Gehalt gesättigter Fettsäuren im Teig um über 50 % senkt (5). Gleichzeitig steigen Protein- und Ballaststoffgehalt – ein klarer Vorteil für Rezepturen mit gesundheitlichem Zusatznutzen. Auch Walgiyanti et al. (2024) zeigen: Der Ersatz von Weizenmehl durch Okara-Mehl (1:2) in Brownies erhöhte den Ballaststoffgehalt (47,5 %), senkte den Glutengehalt (4,3 %) und erzielte sensorisch die besten Bewertungen – ein klares Potenzial für glutenreduzierte Backwaren (6). Unternehmen wie Renewal Mill (USA) und Kikkoman (Japan) vermarkten standardisiertes Okara-Pulver mit stabiler Qualität, hohem Nährstoffgehalt und mildem Geschmack. Die So+Ja GmbH aus Tilz ist eine Bio-Tofu-Manufaktur, die neben ihren Produkten auch das nährstoffreiche Nebenprodukt Okara aus der Sojaverarbeitung anbietet.

Apfeltrester

Die Saftherstellung erzeugt jährlich große Mengen fester Apfelreste. Allein 2022 wurden in Deutschland rund 630 Mio. Liter Apfelsaft produziert – mit entsprechendem Aufkommen an Apfeltrester. Bestehend aus Schalen, Kerngehäusen und Fruchtfleischresten, ist dieser reich an Cellulose, Hemicellulose, Pektin, Polyphenolen und Vitamin C.

Wie Tsoupras et al. (2024) zeigen, lässt sich aus Apfeltrester durch schonende Extraktion ein standardisiertes bioaktives Konzentrat gewinnen, das in Vollkornbrot-Rezepturen eingesetzt werden kann. Bereits 0,5–1,0 g Extrakt pro Broteinheit steigerten signifikant die antioxidative Kapazität sowie den Gehalt an hydrophilen und lipophilen Phenolen, Carotinoiden und ungesättigten Fettsäuren (Omega-3, -6 und -9) (7). Auch als Vollmehl oder Apfelpulver zeigt Apfeltrester technologische Vorteile: Der hohe Pektingehalt verbessert Wasserbindung und Frischhaltung, sorgt für saftigere Krume und harmonischeres Mundgefühl. Sensorische Studien berichten von fruchtigen, leicht süßlichen Aromen, die besonders gut mit Vollkorn, Nüssen und Gewürzen harmonieren. Cardone et al. (2025) untersuchten Apfel- und Traubentrestermehle in glutenfreien Gebäcken wie Brot, Focaccia und Keksen. Die Polyphenolwerte stiegen je nach Produkt um 300–727 %, der Anthocyangehalt um 600 %. Die sensorische Akzeptanz blieb erhalten oder verbesserte sich im Vergleich zur ausschließlichen Sub­­stitution mit Traubenmehl. [8]

Industriell wird Apfeltrester heute als getrocknetes Pulver (z. B. Firma Ceresal GmbH, Mannheim), Faserextrakt oder Chips angeboten – einsetzbar als Frischhalter, Texturgeber oder zur gezielten Ballaststoffanreicherung in modernen Backrezepturen.

Traubentrester

Die weltweite Weinproduktion (ca. 244 Mio. Hektoliter jährlich) erzeugt große Mengen an Pressrückständen. Bis zu 25 % des Traubengewichts bleiben als Traubentrester zurück – ein faserreiches Nebenprodukt aus Schalen, Fruchtfleisch, Stielen und Kernen. Einst als Futtermittel oder Biogasrohstoff genutzt, gewinnt es zunehmend Bedeutung als funktionelle Zutat in Backwaren und Snacks (1).

Traubentrester enthält hohe Mengen bioaktiver Verbindungen wie Flavonoide, Anthocyane und Resveratrol mit antioxidativer und antimikrobieller Wirkung. Auch Ballaststoffe wie Zellulose, Hemicellulose und Lignin machen ihn technologisch interessant. Eine rasche Trocknung und Vermahlung zu feinem Mehl ist essenziell, um die mikrobiologische Stabilität und sensorische Qualität zu sichern.

Mildner-Szkudlarz, et al., (2012) untersuchten den Zusatz von 5–10 % getrocknetem Traubentrestermehl in Brotteigen. Das Ergebnis: höhere Ballaststoffdichte, gesteigerte antioxidative Kapazität und verlängerte Frischhaltung. Sensorisch überzeugten die Brote mit dunklerer Krume, kerniger Textur und fruchtig-herbem Aroma – ideal für kräftige Brot­sorten (9). Auch Martirosyan et al. (2025) belegen den funktionellen Mehrwert: Eine Substitution von bis zu 15 % durch Traubenschalenmehl beeinflusste die Textur kaum, erhöhte jedoch deutlich die antioxidative Wirkung. Der hohe Phenolgehalt wirkt stabilisierend und gesundheitsfördernd – ein Pluspunkt für Clean-Label- und ernährungsoptimierte Konzepte (10).

Industriell wird Traubentrester vor allem zu Traubenkern- oder Schalenmehl verarbeitet. In Kombination mit Dinkel- oder Roggenmehl entstehen so ballaststoffreiche Gebäcke mit funktionellem Zusatznutzen und charakteristischem Aromaprofil.

Rechtsrahmen & Herausforderungen

Damit Trester in Lebensmitteln verwendet werden darf, muss er gemäß § 4 KrWG (Kreislaufwirtschaftsgesetz) als Nebenprodukt eingestuft sein – nicht als Abfall (12). Dafür sind bestimmte Kriterien zu erfüllen: Der Trester muss hygienisch unbedenklich, rückverfolgbar und wirtschaftlich verwertbar sein. Diese juristische Unterscheidung ist entscheidend, da nur Nebenprodukte unmittelbar wieder in die Lebensmittelkette gelangen dürfen.

Herausforderungen bestehen vor allem in der saisonalen Verfügbarkeit, Qualitätsschwankungen, dem hohen Energiebedarf bei der Verarbeitung (z. B. Trocknung), der sensorischen Standardisierung sowie der begrenzten Haltbarkeit. Zudem kann die Einstufung als „neuartiges Lebensmittel“ nach der EU-Novel-Food-Verordnung erforderlich sein, wenn keine dokumentierte Verwendung vor dem Stichtag 1997 vorliegt (11).

Zusammenfassung

Die gezielte Nutzung pflanzlicher Nebenprodukte wie Sojabohnentrester (Okara), Apfel- und Traubentrester birgt großes Potenzial für die Backwarenindustrie. Diese Nebenströme fallen in hoher Menge an und liefern funktionelle Inhaltsstoffe wie Ballaststoffe, Polyphenole und pflanzliches Protein. Studien belegen, dass eine Mehlsubstitution von 5–15 % Textur, Frischhaltung und Nährwert verbessern kann – ohne sensorische Einbußen. Soja-Okara erhöht die Feuchtigkeit und Viskosität, Apfeltrester fördert Saftigkeit, Traubentrester steigert Ballaststoffgehalt, Farbintensität und antioxidative Wirkung. Voraussetzung für den Einsatz ist die Einstufung als Nebenprodukt gemäß § 4 KrWG. Trocknung, Vermahlung und funktionelle Aufbereitung sind entscheidend für Hygiene und Produktstabilität. Pflanzliche Trester unterstützen somit Ressourcenschonung, Clean-Label-Strategien und nachhaltige Rezepturen.

 

Quellen

[1] BÄKO-Magazin. (2024). Z. Sadyk – Pflanzliche Reststoffe. Ausgabe 11/2024, S. 95–98.
[2] FAO – Food and Agriculture Organization of the United Nations. (2023). Global food losses and waste: Extent, causes and prevention. https://www.fao.org
[3] Statista. (2023). Umsatz im globalen Markt für Sojamilch von 2019 bis 2030. https://www.statista.com/statistics/
[4] Mintel. (2024). Consumer Trends in Plant-Based Foods and Sustainable Innovation. Marktanalyse-Report.
[5] Plazzotta, S., Nicoli, M. C. & Manzocco, L. (2022). Upcycling soy processing waste (okara) into structured emulsions for fat replacement in sweet bread. Journal Of The Science Of Food And Agriculture, 103(8), 4025–4033. https://doi.org/10.1002/jsfa.12361
[6] Walgiyanti, I., Mahardika, A. & Murti, P. D. B. (2024b). The Substitution of Different Concentration of Okara Flour in Brownies Formulation Added of Flaxseed (Linum usitatissimum) as Low-Gluten Healthy Food. Journal Of Functional Food And Nutraceutical, 78–85. https://doi.org/10.33555/jffn.v5i2.127
[7] Tsoupras, A. et al. (2024). Enrichment of Whole-Grain Breads with Food-Grade Extracted Apple Pomace Bioactives Enhanced Their Anti-Inflammatory, Antithrombotic and Anti-Oxidant Functional Properties. Antioxidants, 13(2), 225. https://doi.org/10.3390/antiox13020225
[8] Cardone, G. et al. (2025). Upcycling of By-Products from Autochthonous Red Grapes and Commercial Apples as Ingredients in Baked Goods: A Comprehensive Study from Processing to Consumer Consumption. Antioxidants, 14(6), 798. https://www.mdpi.com/2076-3921/14/7/798
[9] Mildner‐Szkudlarz, S., Bajerska, J., Zawirska‐Wojtasiak, R. & Górecka, D. (2012). White grape pomace as a source of dietary fibre and polyphenols and its effect on physical and nutraceutical characteristics of wheat biscuits. Journal Of The Science Of Food And Agriculture, 93(2), 389–395. https://doi.org/10.1002/jsfa.5774
[10] Martirosyan, D., Hovhannisyan, N., Badalyan, A., Petrosyan, G., Kazumyan, K., Solomonyan, A., Grigoryan, L., Gazaryan, A., Petrosyan, G., Grigoryan, V. & Abrahamyan, V. (2025). Chemical profiling of domestic grape peel and its potential in bread quality improvement. Functional Food Science – Online ISSN 2767-3146, 5(4), 113–126. https://doi.org/10.31989/ffs.v5i4.1589
[11] Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011. Amtsblatt der Europäischen Union, L 327/1, 20.09.2024
[12] Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG). (2020). Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. https://www.gesetze-im-internet.de/krwg/, abgerufen 20.09.2024

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